Die Logik des Wassers
Schauer, Platzregen, Wolkenbruch, Sintflut, Sprühregen, Starkregen, Schnürlregen, Niesel – dann ist in der deutschen Sprache bald Schluss mit den Bezeichnungen des Wetterphänomens.
Die japanische Sprache kennt dagegen viel viel mehr Ausdrücke, um den Charakter des kondensierten Wassers zu beschreiben, das aus Wolken auf den Erdboden fällt.
Regen fehlt und fasziniert
Die Berliner Künstlerin Harriet Groß ist ihrerseits fasziniert vom japanischen Interesse an dem immer häufiger vermissten Wetterereignis, das in berühmten japanischen Holzschnitten aus dem 18. und 19. Jahrhundert als Folge von Linien abstrahiert wird. Zwei dieser kunstgeschichtlichen Referenzen sind in der Ausstellung „Weißer Regen“ in der Guardini Galerie zu sehen, die Harriet Groß mit ihren Arbeiten in eine rauschhaft stille Linien-Meditation verwandelt.
Per Tusche-Zeichnungen, Lentikulardrucken (vulgo: Wackelbildern, in denen zwei Bildebenen übereinanderliegen) und Regen-Installationen aus Schnüren und Alu-Stäben erschafft sie eine in strenges Schwarzweiß (und einige Grautöne) gegossene Abstraktion, deren Minimalismus manisch und maßlos zugleich anmutet. Linien, Linien, überall Linien. Dünn, noch dünner, dick, am dicksten. Eine neben der anderen mit dem Tuschepinsel auf Bütten oder Japanpapier gebracht.
Kleine Ausreißer eingeschlossen, die die mannshohe Horizontale etwa der Zeichnungen „Feiner- und Leiser Regen“ mit vertikalen Auslassungen versehen. Mit den „Säumen“ des Wassers, den Wellen, der Gischt wie in der Serie „Saum“.
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Immer wieder bricht Groß die analytische Strenge ihrer Komposition, die Regen als den Rhythmus der Natur beschreibt und anmutet wie dessen Notationen, dessen Partitur. Dann spielt sie mit dem visuellen Echo der fallenden Tropfen. Ein Beispiel ist die filigrane Installation „Sprühregen“.
[Guardini Galerie, Askanischer Platz 4, bis 22. Juli, Mo-Fr 13-18 Uhr. Das Katalogbuch “Weißer Regen” ist bei The Green Box erschienen und kostet 35 €. Am 28. Juni, 19 Uhr, findet eine Führung der Kuratorin Frizzi Krella in Anwesenheit der Künstlerin statt.]
Die „Raumzeichnung“ besteht aus Metallketten, die aus einer Fülle unterschiedlich großer Glieder zusammengefügt sind. Sie fallen mal schwarz, weiß, silbern aus. Und werfen als Regenvorhang einen zarten Schatten an die Wand.
Regen als Sinnesereignis.
Das ließe sich fraglos gefälliger und leichter zugänglich in Szene setzen, als Harriet Groß das tut. Ihr Werkkomplex „Weißer Regen“ fordert Konzentration und die Bereitschaft zur Versenkung in ein Sujet, dem die Künstlerin unbeirrt vom Getöse der Welt und den Moden des Kunstmarkts folgt.