Zwei Klaviere im Boulez Saal: Wenn Glocken träumen
Ein Themenabend zum Glockenklang, schöne Idee. Pierre-Laurent Aimard und Tamara Stefanovich bilden auf ihren Steinways aus weiten Akkorden gebaute Hallräume und lassen es läuten, hoch oben mit feinen, schnellen Fingern ebenso wie tief unten in den Bässen, mit sonor verebbendem Nachhall.
Ravels „Entre cloches“, der „Prayer Bell Sketch“ des Messiaen-Schülers Oliver Knussen, vor allem George Enescus „Carillon nocturnes“ mit gleichsam in die Jahre gekommenem Glockenspiel samt zu übermäßigen Septen und verminderten Nonen „verstimmten“ Obertönen: So mag es klingen, wenn Glocken träumen, schlafen, einander was erzählen.
Die beiden Pianisten treten oft miteinander auf, ein kongeniales Duo – wobei Tamara Stefanovich mehr als Aimard durch die Anmut und verblüffende Mühelosigkeit besticht, mit der die hochvirtuosen Partien von Harrison Birtwistles „Keyboard Engine“ und Olivier Messiaens „Visions de l’Amen“ bewältigt. Alleine ihr zuzusehen, ist eine Freude.
Die mal schrille, mal selbstvergessene Kakophonie von Birtwistles Musikautomaten-Geisterstunde mündet immer wieder in ironische Partien, wenn die beiden wild im Kreis trudeln, einander erschrecken, einzelne Töne zuwerfen oder Fangen spielen. Delirierende Martinshörner, durchdrehende Spieluhren: Birtwistle ergründet das Innenleben von Maschinen – auch sie können verstörte Sensibelchen sein. Aimard und Stefanovich hatten das Stück des 2022 gestorbenen Briten 2018 beim Aldeburgh Festival uraufgeführt.
Messiaen schrieb seine sieben Amen-Visionen 1943, nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft. Man muss nicht religiös sein, um seine metaphysische Dimension zu begreifen. Während Aimard das Geschehen grundiert, meißelt Stefanovich das eherne, eine Terz absteigende Thema in hoher Lage, löst die scharfe Tonfolge in Gamelan-artige oder vogelruf-durchsetzte Himmelsmusiken auf und entfesselt in der finalen Vision die Elemente. „Wir verstehen nicht, wir sind geblendet“, schrieb Messiaen. Überschwängliche Tonkaskaden, funkelnde, gleißende Klänge, flutende Farben – so viel Ekstase erlebt der Boulez Saal nicht oft.
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