Hertha, schickt sie bitte in Rente

Liebe Leserin, lieber Leser, wenn Sie diese Seite regelmäßig besuchen, sind Sie vermutlich fußballaffin. Dann haben Sie wahrscheinlich auch sofort beim Lesen des Titels gewusst, von wem hier die Rede ist. Diese familiären Bezeichnungen für Fußballmannschaften beziehen sich meist auf die Wappentiere oder sonstige reale Maskottchen (Geißbock „Hennes“), die wiederum den Namen des Vereins widerspiegeln. Durch ihre Verwendung zeichnen sich vor allem Journalist*innen aus, die damit natürlich das Bild des Vereins in der Öffentlichkeit prägen. Das Bild, das die in der Überschrift genannten Bezeichnungen in Ihrem Kopf kreieren, charakterisiert also gleichzeitig die Mannschaft/den Verein und im Idealfall – den Fußball, den sie spielt.

Und da sind wir schon mitten im Thema. Ich will mich hier nicht inhaltlich über die Vereinspolitik von Hertha BSC auslassen, obwohl ich sie, mit Unterbrechungen, seit vielen Jahren grundsätzlich wohlwollend verfolge – und meist nicht verstehe. Aber das ist ein anderes Thema. Hier geht es um die Selbst- und Außendarstellung von Hertha BSC und eben die „alte Dame“. Denn so bezeichnet sich der Verein in Texten selbst häufig. Es gibt in Deutschland keinen anderen Verein, der so genannt wird. Es gibt auch meines Wissens keinen Verein, der einen mittlerweile altmodisch anmutenden Frauennamen trägt. Bei Gründung des Vereins war Hertha ein angesagter Name, so wie heute Emilia oder Marie oder Sophia.

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Die Geschichte ist bekannt, der Dampfer, auf dem der Verein gegründet wurde, hieß nach der Tochter seines Besitzers eben Hertha. Auffällig ist, dass es häufig Frauennamen waren, auf die Schiffe getauft wurden, denn das Schiff war die Braut des Seefahrers. Es gab aber auch Männernamen, zum Beispiel Bismarck, Otto oder Albert, aber immer ist es „Die Bismarck“ usw. Stellen Sie sich mal einen Fußballverein vor, der Otto heißt oder Heinrich. Passt irgendwie nicht (obwohl es doch zunächst ein Männersport war)!

Also nun: Hertha. Hertha hat kein Wappentier, dafür die schöne, wehende blau-weiße Fahne. Wenn wir nun also in familiärem Insiderton über unseren Verein sprechen (hören) oder geschrieben lesen, begegnet uns häufig die „alte Dame“. Seien wir mal ehrlich: Was assoziieren wir mit einer alten Dame? Professionalität, Konkurrenzfähigkeit, Schnelligkeit, Zielstrebigkeit, Erfolg? Machen wir uns nichts vor, eher Betulichkeit, Abgeklärtheit, Langsamkeit und Bedächtigkeit – und wenn die alte Dame Glück hat, vielleicht noch Respekt. Ja, das ist eine Anleihe bei Juventus, werden die absoluten Kenner*innen sagen, diese Mannschaft wird ja auch la vecchia signora genannt.

Vermutlich herrscht in Italien noch eine andere, wertschätzendere Sichtweise auf die Alten, außerdem ist bei Juventus die Jugend ja schon im Namen vertreten. Damit wir uns richtig verstehen, ich wende mich hier nicht gegen das Alter an sich, finde nur, dass diese Bezeichnung nicht gerade dazu beiträgt, Hertha BSC als einen modernen, erfolgsorientierten, professionell geführten Verein darzustellen, der er ja sein will und muss, um im Bundesligageschäft zu bestehen.

Eine andere Bezeichnung für Hertha, „Big-City-Club“, ist relativ neu und natürlich englisch. Das bedeutet ja zunächst nichts anderes als „Großstadtverein“, ist aber leider durch interne Großspurigkeit verbrannt und wird in den Medien gern ironisch und spöttisch-abwertend verwendet. Die unnötige Steilvorlage für das Eigentor des Jahres (des Jahrzehnts?).

Mit Hertha assoziieren also die meisten Fußballinteressierten entweder Größenwahn und Angeberei oder Behäbigkeit und Aus-der-Zeit-gefallen-Sein: Ein Dampfer unter den Schnellbooten. Ja, das ist vielleicht nur Kosmetik, aber sie sorgt eben für ein besseres Ansehen. Sprache ist ja immer ein Ausdruck der inneren Haltung der sprechenden Person und spiegelt die kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse wider: In diesem Sinne „ bitte, lasst die „alte Dame“ in Rente gehen!

Die Autorin begleitet Organisations- und Personalentwicklungsprozesse in der (Hochschul-)Verwaltung und ist als Trainerin & Dozentin für Führung, Kommunikation und Stimme tätig.