Das Concertgebouworkest beeindruckt in der Philharmonie

Claude Debussys „La mer“ ist ein grandioses Stück Naturmusik. So vielschichtig legte der Franzose 1905 seine „sinfonischen Skizzen“ an, dass sich jeder Interpret entscheiden kann, wo für ihn die Wellen dieses Meeres ans Ufer schlagen. Daniel Harding entscheidet sich beim Auftritt mit dem Concertgebouworkest Amsterdam im Rahmen des „Musikfest Berlin“ für die Nordseeküste.

Kühl weht der Wind hier, mit starken Böen, die Gischt spritz hoch, wenn Harding das Lautstärkepotenzial des groß besetzten Orchesters gleißend ausreizt. Indem er die drei Sätze nahtlos ineinander übergehen lässt und rasche Tempi wählt, entwickelt die impressionistische Musik eine enorme Sogwirkung. Die Spitzenmusiker:innen aus Amsterdam entfalten zudem eine solche Klangfarbenfülle, dass der Eindruck entsteht, man könne ins Innere dieser Musik hineinhören. Mehrere akustische Ebenen überlagern sich, magisches Leuchten glimmt auf, das Orchester atmet Atmosphäre.

Renée Fleming singt fantastisch auf Französisch

Wie abstrakte Kunst wirkt dagegen Igor Strawinskys „Agon“. Klingender Kubismus in Grau- und Brauntönen ist diese 1957 für den Choreografen George Balanchine geschrieben Ballettmusik. Melodisches kommt kaum vor, der russische Komponist arbeitet in diesem radikalen Spätwerk lediglich mit tönenden Formen. Konzentriert führen Harding und das Concertgebouworkest die Partitur aus, die überzeugendsten Passagen sind jene, in denen Puls und Rhythmus zu scharfkantigem Eigenleben finden.

Zwischen diesen beiden antagonistischen Werken stehen Olivier Messiaens „Poèmes pour Mi“, sowohl ästhetisch wie auch von der Entstehungszeit her. So, wie der vom Komponisten für seine Frau Claire Delbos verfasste Liederzyklus am Dienstag in der Philharmonie erklingt, neigt er sich eher Debussys Seite zu. Was auch an der Solistin Renée Fleming liegt: Ihre französische Textverständlichkeit ist phänomenal, mit feinem Gespür formt sie die Worte dieser surrealistisch-spirituellen Gedichte zur betörenden musikalischen Rezitation.