Fujiko Nakayas Geisterreiche im Haus der Kunst
Das hat es so noch nie gegeben. Die Besucher im Münchner Haus der Kunst gehen nun trockenen Fußes: über Wasser. Doch ist das kein biblisches oder venezianisches Wunder. Es gründet vielmehr auf einem Projekt, für das in mehreren Ausstellungsräumen die Bodenfläche in ein Bassin verwandelt wurde.
Darüber führen teils Holzdielen, und in der monumentalen Mittelhalle öffnet sich so ein langer See mit einer betretbaren Insel. Im Wasser spiegelt sich dank des teilweise verglasten, erleuchteten Dachs ein künstlich echter Himmel, während alle halbe Stunde aus tausend winzigen Düsen im Raum zauberische Nebel aufsteigen. Sie sind aus den Wassern gespeist und lassen die Menschen wie Nebelskulpturen aussehen.
Es geht um das Verhältnis von Kunst, Natur und Naturwissenschaft
Das alles hat die bald 90-jährige japanische Künstlerin Fujiko Nakaya erdacht. Sie ist, trotz früherer Nebelprojekte beispielsweise in der Bay von San Francisco oder rund um das Pariser Centre Pompidou, eine Mischung aus Weltstar – und noch immer großer Unbekannter. Denn die 1933 in Sapporo geborene Malerin, Videopionierin und Inszenatorin fester wie fluider Installationen wird in München mit der ersten Lebenswerk-Retrospektive außerhalb Japans geehrt.
So sieht man in den nebelfreien Abteilungen neben Videoarbeiten auch Gemälde und Skizzen von 1959 bis zur Gegenwart. Dabei zeigen schon die frühen Werke so surrealistische wie auch reale Gebilde: molluskenhafte Formen, imaginäre Innen- und Außenwelten von Körpern, betitelt „Neurobird“, „Body Cosmos“, „Cloud Series“ oder „Creation of the Earth“.
Nach den Vorstellungen der wegen der Pandemie vorerst noch in Tokio verbliebenen Künstlerin hat Andrea Lissoni, der italienische Direktor des Hauses der Kunst und Nachfolger des allzu früh verstorbenen Okwui Enwezor, zusammen mit der Berliner Kuratorin Sarah Johanna Theurer diese aufwendige, spezielle Hochdruckpumpen und zahlreiche Wassertanks im Keller und auf dem Dach erfordernde Schau realisiert. Lissoni und Theurer benennen hier sogleich die Essenz: „Fujiko Nakayas Werk lässt die Grenzen zwischen Wissenschaft, Kunst und Technologie verschwinden.“
[Fujiko Nakaya: „Nebel Leben“, Haus der Kunst München bis 31. Juli]
Eben dies macht die Münchner Unternehmung „Nebel Leben“ aktuell, ganz ohne, dass hier schon Künstliche Intelligenz oder Virtual-Reality-Brillen eine Rolle spielen. Es geht bei Nakaya noch um das alte, neu betrachtete Verhältnis von Kunst, Natur und zugleich Naturwissenschaft, nicht jedoch um Science-Fiction.
In dieser Verbindung ist die Künstlerin schon früh aufgewachsen, denn ihr Vater war der bekannte Physiker und Wissenschaftspädagoge Ukichiro Nakaya, dem eine Erfindung zugeschrieben wird, ohne die es heute kaum noch alpinen Skitourismus geben würde oder Olympische Winterspiele in den eigentlich kahl braunen Bergen der Umgebung von Peking. Vater Nakaya entwickelte nämlich die künstliche Herstellung von Schneeflocken und Eiskristallen und produzierte mit seiner Filmfirma in großem Stil Dokumentationen zu naturwissenschaftlichen Themen.
Die Mitarbeit daran hat die Tochter inspiriert. Deshalb gibt es einen zweiten Teil der Ausstellung im Obergeschoss des Hauses, in der man außer Filmbeispielen etwa die unendliche Formenvielfalt der in röntgenbildhaften Schwarzweißfotos an Sternbilder, Ufos oder bizarre Blitze erinnernden Eiskristalle bestaunt werden kann.
Im Erdgeschoss bieten sich zuvor zwei mögliche Eingänge, weil für den Abzug der Nebel auch ein Hintertor zum angrenzenden Englischen Garten und dem Münchner Eisbach offen bleibt. Mit dieser Öffnung des Museums zur Umwelt will Nakaya zugleich den ökologischen Aspekt ihrer Natur-Kunst betonen.
So betritt, wer genau zur rechten Zeit kommt, das Haus dann unter der vom Dach als feine Wand und Wolke versprühten „Skulptur“ namens „Munich Fogfall #10865/II“, bevor er im Inneren zur Zentralhalle und dem künstlichen See mit dem „Munich Fog (Wave) #10865/I“ vordringt. Wenn draußen sich dazu die Luft bewegt, ist Fujiko Nakayas poetische Idee, mit ihrem Nebel auch „den Wind zu reiten“. Bei abendlichen Öffnungen, wirkt das im Scheinwerferschein gegen die einbrechende Dunkelheit nochmal wie ein Statement aus einem eigenen Geisterreich.
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Der Haupteingang führt dagegen noch vor der Öffnung zum großen Mittelhallenbad in ein Foyer mit der wandhohen Videoprojektion einer Spinne in ihrem Netz. Man mag da entfernt an die skulpturale Riesenspinne mit dem Titel „Maman“ von Louise Bourgeois denken, einer anderen Grande Dame der modernen Kunstszene.
Doch das webende Insekt von 1973/2022, einst als Symbol von biologischer und grafischer Bedeutung entworfen, verweist heute eher auf die Spanne zwischen Web und Welt. Zwischen Archaik und Hightech. Fujiko Nakaya, die in den 1970er Jahren mit Robert Rauschenberg und Bill Klüver zu der spartenübergreifenden Gruppe Experiments in Art and Technology (E.A.T.) gehörte und 1980 mit SCAN die erste japanische Videokunstgalerie eröffnete, sie ist auch als Meisterin des Minimalismus in einem zwar großformatigen, aber doch kontemplativ konzentrierten Video zu erkennen. Zwei Hände versuchen darin ein Hühnerei frei zum Stehen zu bringen, was schon seit Urzeiten als Spiel mit dem unbedingt Möglichen, aber wahnsinnig Schwierigen gilt und hier mit schierer Anmut gelingt.
Zuletzt ist der Blick westlicher Ausstellungsmacher meist vom radical chic der neueren chinesischen Kunst gefangen gewesen. Jetzt könnte, aus vielerlei Gründen, die alte Verbindung mit Japan wieder stärker aufleben. In München will man im Mai im Haus der Kunst noch die Cyberpunk-Gruppe Dump Type aus Kyoto präsentieren, im Widerspiel auch mit einer japanisch inspirierten Klangskulptur von Carsten Nicolai.
Und in Berlin feiert dann zeitgleich das Goetheinstitut das 60-jährige Jubiläum des Instituts in Tokio und, mit einer Kunstausstellung im CLB am Moritzplatz, zehn Jahre Arbeit der in Kyoto als interkulturelle Künstlerresidenz gegründeten Villa Kamogawa.