Eberhard Häfners Gedichtband „Am unfrisierten Rand“: Beglückend spröde Poeme

Wenn ein Dichter sich zu Lebzeiten mit zwei Auswahlbänden seiner Poesie feiern lässt, leidet er nicht an falscher Bescheidenheit. Der neueste Band des Berliners Eberhard Häfner ist im Wiener Klever Verlag erschienen, einem im positiven Sinne verrückten Einmannunternehmen mit Schwerpunkt auf Essayistik und Gegenwartsdichtung mit Weltkontakt, wo Werke von Ausnahmekünstlern wie Urs Jaeggi und Liesl Ujvary ein Forum finden.

Dieser Ausrichtung aufs Exzeptionelle hin scheint Häfner dem Habitus nach nahe, der formalen Risikofreudigkeit nach aber eher ferne zu sein. Die Mottoanleihe bei Rilkes „Duineser Elegien“ lässt einen großen Eigentlichkeitsbedarf befürchten. Wenn allerdings das mehr oder weniger lockere Unterlaufen von Erwartungshaltungen eine Unterpflicht der Sparte Verskunst überhaupt wurde, dann muss Eberhard Häfner in Erfüllung dessen eine ganz besondere Beharrlichkeit zugestanden werden.

Schon im Eingangsgedicht findet sich eine Selbstbezeichnung der Sprechinstanz als „Eleve/ in der Kneipe“, dem das „Wirtshaus“ Trinkhalle wie „Stabkörper“ in einem ist. Jeder Abschnitt des Gedichtbands heißt „Konstrukt“, jedes entspricht dem, was ein dahergelaufener Realist für ein Kapitel halten würde.

Gänseblümchen als Gans geboren

Schriftbildlich wie hinsichtlich Umfang und freirhythmischem Stil nehmen sich die Kapitel nicht viel, aber bereits die Tuschezeichnungen der Grafikerin Marlen Melzow zu Beginn jedes Konstrukts weisen auf vier unterschiedliche Tempi hin: Vom Niedersitzen geht es zur Einradfahrt, dann zur Achterbahn-Werdung bis hin zur Himmelfahrt: „auch Gänseblumen werden, bevor sie gezupft/ als Gans geboren,“ und an anderer Stelle, im Poem „Waffen wären ohne,/ dass wir anwesend, schuldlos“ die Ein- bzw. Aussicht: „durch intensives Betrachten werden die Augen/ Teil der Gehirnmasse, drücken aus/ was Worte nicht vermögen […] schaut man nur unentwegt zu den Nilgänsen/ auf den Friesen antiker Tempel/ beginnen sie zu flattern“.
Nicht jeder Kalauer ist mehr als ein Lyrismus („Weder Fisch noch Chips“; „Kurz und schlüssig“; „Sprechakt des Versprechens“), aber fast keine der zahllosen Verballhornungen ist kein Erkenntnis- oder sogar Weisheitsgewinn: „wie Mäuse zu den Eulen ziehn/ so Eulen zu den Mäusen, blutbeträufelt/ aber nicht kompatibel“.

Das herausragende Poem „Sublim“ beginnt wie zeittypischer Lyrikslapstick: „so, so/ du denkst, kannst erzählen […] “, um mit einem frischen Vergleich zu enden: „das Kranichkind, es kam, als der Herbst/ ein Polimentvergolder/ nur anders“. Sprödigkeit, Schwermut und Zaudern, nicht ohne einige Abhobelungen von Morgensterns Galgenliederbalken („das kleine lalula“), bestimmen die „Essenz des Einsiedlers“, auf die hin Häfner seine Dichterexistenz entwirft. Mit den Gegebenheiten in der Lyrikboomstadt Berlin, ihren obligaten und selbstgenügsamen Schreibgruppen, lässt sich diese Attitüde wohl nur schwer vereinbaren.

In „Haus zwischen Apfel und Birne“ findet sich die Notiz: „ich schlug, statt Holz/ maßlos aus der Art […] nicht so leicht zu verstehen/ bin ich zweifelsfrei reif/ fürs Museum“. Die Leserschaft von Eberhard Häfner, dieses waldläufigen Meisters des Untertreibung, ist treu und dürfte wohl nicht kleiner werden.