„Seneca“ im Kino: Einfach mal die Klappe halten

Der kurze Seitenblick, den Alexander Fehling einmal in Richtung Kamera wirft, spricht Bände; sein Gesichtsausdruck changiert zwischen amüsierter Genervtheit und mühsamer Contenance. Im Kino, das viel auf seinen vermeintlichen Realismus hält, verweist das dramaturgische Mittel der Publikumsansprache stets auf das Dispositiv der Bühnen-Inszenierung. Da ist es nur konsequent, dass die Darsteller in Robert Schwentkes Meta-Biografie „Seneca – Oder: Über die Geburt von Erdbeben“ immer wieder die Kamera adressieren.

Man darf den Film auch als pointierte Zumutung verstehen: Schwentke bietet dem Publikum keine Rückzugsmöglichkeit von der eitlen Geschwätzigkeit seiner Titelfigur, deren Mischung aus Blasiertheit und geckenhaftem Chargentum John Malkovich so unnachahmlich verkörpern kann. Sein Seneca redet sich buchstäblich um Kopf und Kragen.

„Jetzt stirb doch endlich“

Auf der Berlinale, wo „Seneca“ gerade seine Weltpremiere feierte, sollen die anwesenden Kritiker:innen der Leinwand angeblich ein verzweifeltes „Jetzt stirb doch endlich“ entgegengeschleudert haben. Das lässt sich schwer verifizieren, aber Tatsache ist, dass „Seneca“ von der Kritik mehr bewundert als verehrt wird. Gefällige Filme hat Robert Schwentke in seiner Karriere allerdings auch schon genug gemacht, seit 15 Jahren dreht er in Hollywood Blockbuster von der Stange.

Für die Herzensprojekte, wie zuletzt seine Weltkriegs-Köpenickiade „Der Hauptmann“, kehrt er nach Deutschland zurück. Aber nicht nur gemessen am hiesigen Kino fehlen einem die Kategorien für „Seneca“, was vielleicht auch daran liegt, dass diese Mischung aus Phantasmagorie, Groteske und absurdem Theater seit dem Tod des britischen Exzentrikers Ken Russell („Tommy“, „Lisztomania“, „Der Höllentrip“) ein wenig aus der Mode gekommen ist.

Realismus habe ihn nie interessiert, hat Schwentke in Interviews betont. „Seneca“ ist allerdings auch kein Film der Zwischentöne. Das Riesenbaby Nero (Tom Xander in seiner ersten Hauptrolle) hat ein „Mutti“-Tatoo auf dem Oberarm, Senecas Sexvorlieben, wie seine viel zu junge Frau Paulina (Lilith Stangenberg) ausplaudert, bestehen aus kinky Rollenspielen.

Der Staatsphilosoph und Kaiserflüsterer ist ein eitler Opportunist, der sich der Macht andient und für die High Society (unter anderem Geraldine Chaplin, Julian Sands und Alexander Fehling) auf seinem Landsitz blutrünstige Dramen aufführt, in denen Nero der Lächerlichkeit preisgegeben wird. (Die Inszenierung von „Thyestes“, komplett mit Pappmaché-Kostümen, stammt von dem Berliner Dramaturgen Ersan Mondtag.) „Sowas von plump“, entgegnet die süffisante Honoratiorin Cecilia (Chaplin) da nur abfällig, worauf Seneca sie später als „Opium-Mumie“ zurück beleidigt.

Inszenierung des eigenen Todes

Der große Stoiker verliert zunehmend die Beherrschung, je näher der Moment seines angekündigten Suizids durch einen kaiserlichen Befehl rückt. Im Modus der elaborierten Beleidigung erntet Schwentke, der zusammen mit Matthew Wilder auch das Drehbuch geschrieben hat, die meisten Lacher. Moralische Entrüstung und die Privilegien des Establishments vertragen sich nicht gut. Die hohe Gesellschaft, die Senecas Inszenierung seines eigenen Todes beiwohnt, repräsentiert die dekadente Schwundstufe des römischen Imperiums, das von Wahn, Nepotismus, und Unmoral infiziert ist. Donald Trump ist natürlich der weiße Elefant im Raum, expliziter muss Schwentkes Parabel aber nicht werden. „Ich hoffe, es wird nicht wieder politisch“, seufzt Chaplins Cecilia einmal. Aber die Sorge ist unbegründet.

Daher sollte man „Seneca“ vor der politischen Relevanz, die Schwentke seiner Geschichte unterstellt, unbedingt in Schutz nehmen. Film und Regisseur haben das gar nicht nötig, auch wenn Schwentke seinem Antihelden Sätze wie „Dieser modische Pessimismus. Alle hacken auf vergangenen Verbrechen herum“ in den Mund legt und Nero mit „Präsident“ angesprochen wird. Der Regisseur hat das deutsche Ausstattungskino vielmehr auf ein paar karge Kulissen reduziert und in die marokkanische Wüste verpflanzt. Gaspar Noés Kameramann Benoît Debie umkreist die Figuren, die im spröden Licht ledrige Züge annehmen, wie ein wild gewordener Paparazzo.

Wenn überhaupt, illustriert „Seneca“ anschaulich (und darin ziemlich unerbittlich), wie sich die dauererregten, narzisstischen und ihrer eigenen moralischen Überlegenheit vergewissernden Stimmen in den Sozialen Medien anhören würden. Auf „Likes“ legt Schwentke es dabei nicht an. Der Selbstmord Senecas und seiner Gattin ist ein qualvoll-komischer Akt, der den Redefluss des selbsterklärten „Life Coach“ aber auch nicht unterbinden kann. Das Schweigen Malkovichs muss sich das Publikum hart erarbeiten. Dass sich Senecas zäher Körper gegen sein Ende auflehnt, ist eine gute Pointe. Bis einem das Lachen vergeht.

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