„Golda – Israels Eiserne Lady“ im Kino: Schlachtfelder, betrachtet durch Zigarettenqualm
Kunstwerke sind im besten Fall zeitlos, doch gerade das Kino ist ein Ort, an dem die Kunst zunehmend auch im Licht der Gegenwart betrachtet wird. Wie schnell sich diese Perspektive ändern kann, zeigt Guy Nattivs Biopic „Golda“ über die israelische Premierministerin Golda Meir und die knapp dreiwöchige politische Krise im Oktober 1973, als die Existenz Israels im Jom-Kippur-Krieg auf des Messers Schneide stand.
Als „Golda“ im Februar 2023 auf der Berlinale lief, drehten sich die Kontroversen noch um die Nasenprothese von Helen Mirren – und die Frage, ob eine Schauspielerin, die weder jüdisch noch israelisch ist, überhaupt Golda Meir spielen dürfe.
Parallelen zwischen 1973 und 2023
Die Realität, in der „Golda“, dem der Verleih noch den unmissverständlichen Zusatz „Israels Eiserne Lady“ verpasst hat, nun in die deutschen Kinos kommt, erinnert wieder stark an das Jahr 1973 – bevor ein „Friedensprozess“ im Nahen Osten überhaupt eine realistische Option war. Seit dem 7. Oktober 2023 ist eine vernünftige, zwangsläufig auch kritische Diskussion über die Situation in Israel und in den seit 1967 besetzten Gebieten gänzlich unmöglich geworden.
Jede Form von israelischer Perspektive wird von propalästinensischen Gruppen automatisch als „Propaganda“ denunziert. Dabei ist das Frappierende an Nattivs Film – auch wenn das niemanden überraschen sollte –, wie wenig sich in den vergangenen 50 Jahren geändert hat. Auch am 6. Oktober 1973, dem höchsten jüdischen Feiertag, wurde Israel von dem Angriff der ägyptischen und syrischen Armeen, unterstützt von der Sowjetunion, überrascht.
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Aus dem israelischen „War Room“ heraus porträtiert „Golda“ eine Politikerin sowie ein von Feinden umzingeltes Land. Der Krieg selbst dringt nur in Form von Nachrichten und Frontberichten in die Hinterzimmer der Politik, in denen die Luft durch den Zigarettenqualm zum Schneiden dick ist. Der Film behandelt Meirs Zigarettenkonsum, als wäre er eine Charaktereigenschaft oder ein Ausweis von knallharter Politik.
Thatcher erbte den Titel „Eiserne Lady“
„Golda“ beschreibt eine ähnliche Machtkonstellation wie im Oktober 2023: die Hybris eines Landes, das den tödlichsten Angriff auf jüdische Menschen seit der Schoah nicht vorhersah; das sich der prinzipiellen, aber eben auch nicht uneingeschränkten Unterstützung der amerikanischen Regierung sicher sein durfte; und reaktionäre Falken, die kurz die Atombombe als Lösung in die Diskussion einwerfen.
Die damals 75-jährige Golda Meir musste wie immer zwischen den Fraktionen vermitteln. Ihre mütterliche Härte hatte ihr von ihrem Vorgänger David Ben-Gurion das zweifelhafte Kompliment eingebracht, sie sei „der einzige Mann in meinem Kabinett“ gewesen. Kurz nach Meirs Tod sollte Margaret Thatcher den Titel der „Eisernen Lady“ erben. In einer Einstellung marschieren ihre stilbildenden „Golda-Schuhe“ vor einer Reihe von Militärstiefeln. Meir nahm übrigens auch Thatchers berühmtesten politischen Kommentar um gut eine Dekade vorweg: „There was no such thing as Palestinians“, erklärte sie 1969 in einem Interview mit der „Sunday Times“.
Mirren verkörpert mithilfe des Kostüm- und Maskengewerks diese historische Figur auf geradezu programmatische Weise. „Golda“ ist in seiner Graubrothaftigkeit so sehr als historisches Dokudrama inszeniert, als würde Regisseur Nattiv um jeden Preis vermeiden wollen, dass man seinen Film an der Gegenwart misst. Nach dem 7. Oktober drängen sich die Parallelen allerdings umso mehr auf.
Als Henry Kissinger, gespielt von Liev Schreiber, an Golda Meirs Esstisch sitzt und eine Schale Borschtsch auslöffelt, macht der amerikanische Außenminister klar, dass das Überleben Israels an übergeordnete geopolitische Strategien gebunden ist; etwa die guten diplomatischen Beziehungen Amerikas zu den Ölstaaten, die Israels Existenz eher kritisch sehen. Doch seine Bitte um einen Waffenstillstand lehnt Meir kategorisch ab.
Interessant wird „Golda“ an den Punkten, wo Biografie und Politik ineinanderfallen. Tief im „War Room“, der israelischen Kommandozentrale, erinnert sich Golda Meir an ihr Kellerversteck in Kiew während der antisemitischen Pogrome im Zarenreich. Für ihre Generation war Israel der erste Ort, an dem sich jüdische Menschen sicher fühlen konnten. „Wenn wir müssen, kämpfen wir auch allein“, erklärt sie Kissinger, der als amerikanischer Politiker – und erst danach als Jude – an ihrem Tisch sitzt.
Am Ende ihrer Amtszeit steht Meirs gebrechlicher Körper auch sinnbildlich für den Zustand ihres Landes. Da liegt sie auf dem Behandlungstisch, inspiziert von medizinischen Geräten, die ihre Lebenserwartung (und symbolisch auch die ihres Volkes) bestimmen. Sie hat versucht, Menschenleben zu retten und stattdessen eine „Armee von Waisen und Witwen“ geschaffen, beklagt sie am Ende.
Das ist bis heute ihr politisches Vermächtnis in Israel – obwohl sie es letztlich war, die den Friedensprozess mit Ägypten einleitete. Golda Meir, die 1978 an Lymphdrüsenkrebs starb, konnte nicht gerettet werden. Selbst auf dem Behandlungstisch ist sie noch umhüllt vom Zigarettenrauch, der die historische Perspektive in „Golda“ ein ums andere Mal vernebelt.