Neues Kunstwerk an der Humboldt-Universität: Klänge zum Trauern nach dem 7. Oktober

Ein qualvoller Atem, der fast wie ein Fauchen klingt: Das hört man als erstes, wenn man sich zwischen die vier Lautsprecher stellt, aus denen das Stück „Mo(u)rning“ im Foyer der Humboldt-Universität erklingt.

Bald darauf setzt ein Klagegesang auf Hebräisch ein, vermischt mit rhythmischen Klängen eines Zupfinstruments. Jüdische Musiktradition wird in den folgenden sechs Minuten zitiert, mit den Tonleitern und Harmonien, den Tönen einer Klarinette. Schnelle Streicher und elektronische Verfremdung stellen Anspannung her. „An dem Ort, an dem wir recht haben, werden niemals Blumen wachsen im Frühjahr“, sagt eine Frauenstimme. Allmählich findet der Klangteppich aus der Düsternis heraus. Es sind Kinderstimmen vernehmbar, die Worte auf Arabisch und Hebräisch sagen, lachen.

Die Soundinstallation hat der argentinische Komponist und Klangkünstler Juan Pablo Martini als Auftragswerk für die Humboldt-Universität geschaffen. Sie wird fortan zu jeder vollen Stunde im Foyer erklingen, an einem Ort, der auch Touristen und Passanten offen steht. Der Titel des Werks, „Morning“ beziehungsweise „Mourning“, wie auch seine Gestalt lassen einen daran denken, wie für viele Menschen in der Region wohl seither jeder einzelne Tag beginnt. Mit Klagen und Trauern um ermordete oder von der Hamas verschleppte Angehörige und Freunde. Oder auch, denkt man an Gaza und Libanon, um die Toten und Versehrten im Zuge der Vergeltungsschläge Israels und der Jagd nach Terroristen, die sich mitten in der Zivilbevölkerung verstecken.

Jüdische Trauer bekommt Raum

„El maleh rachamim“ lauten einige der hebräischen Worte, die in Martinis Stück zu hören sind: Gott, erbarme dich. Sie gehören zu einem jüdischen Gebet, das zu Bestattungen, Todestagen sowie zum nationalen Gedenktag an die Opfer der Shoa gesungen wird, und das hier verwoben ist. Eine Bitte an Gott, der Seele des Verstorbenen Ruhe und Frieden zu schenken.

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An dem Ort, an dem wir recht haben, werden niemals Blumen wachsen im Frühjahr.

Von Jehuda Amichai, deutsch-israelischer Schriftsteller (1924-2000), aus dem gleichnamigen Gedicht. Amichai war als Kind mit seiner Familie 1936 vor den Nazis nach Palästina geflohen.

Der Künstler Martini nutzt für seine Installation die Fassung des Shalom-Hartman-Instituts, einer jüdischen Forschungs- und Bildungseinrichtung mit Sitz in Jerusalem. Es schreibt die „die Massaker vom 7. Oktober in die Geschichte der Pogrome und des kollektiven Trauerns“ ein, wie man in einem Flyer zum Werk erfährt. Die Uni-Leitung wählte bewusst den 7. November zur Einweihung des Kunstwerks aus, genau 13 Monate nach dem Massaker.

Zitiert wird aus beiden Kulturen

Anlehnungen an die literarischen Traditionen aus beiden Kulturen sind zu hören. Das auf Deutsch gelesene Zitat gegen das Rechthaben und für mehr Verständnis stammt vom deutsch-israelischen Lyriker Jehuda Amichai (1924-2000), eine bedeutende Stimme der israelischen Moderne. Amichai war als Kind mit seiner Familie 1936 vor den Nazis geflohen und nach Palästina ausgewandert, schrieb Romane und Gedichte, war mit Paul Celan bekannt.

Auf arabischer Seite wird Mahmud Darwish (1941-2008), einer der wichtigsten palästinensischen Dichter, zitiert, der mit seiner Familie 1948 während der Nakba in den Libanon geflohen war. Zu hören ist ein lyrischer Dialog auf Englisch. Zwei Menschen versuchen, sich wiederzusehen. Er endet mit: „When will the war end?“, Antwort: „When we meet.“

Die Soundinstallation habe eine besondere Bedeutung für ihre Uni, sagte Präsidentin Julia von Blumenthal bei der Vorstellung. Zum einen, weil der Nahostkonflikt die Universität seit mehr als einem Jahr beschäftigt. Zuletzt hatte es im Mai große Aufregung um die pro-palästinensische Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften gegeben, die mit einer Räumung auf Druck des Regierenden endete und bei der das Institut durch den radikalen Teil der Besetzer verwüstet wurde.

Sie sagte: Wann wird der Krieg enden? Ich sagte: Wenn wir uns begegnen.

Von Mahmoud Darwish, palästinensischer Lyriker, aus dem Gedicht „A year after the war ends“. Darwish war mit seiner Familie 1948 während der Nakba in den Libanon geflohen.

Wichtig ist die Würdigung jüdischer Kultur für die Präsidentin aber auch, weil die Friedrich-Wilhelms-Universität, der HU-Vorgänger, vor rund 90 Jahren „mitgewirkt hat am Aufbau des Nationalsozialismus und der Vertreibung jüdischer Gelehrter“.

Juan Pablo Martini, argentinischer Komponist, Pianist und Klangkünstler, zur Einweihung seiner Installation an der Humboldt-Uni.

© Stefan Klenke/HU Berlin

Passend zum Stück der Installation, in dem am Ende die Hoffnung auf Frieden leise angedeutet wird, zeigte sich Blumenthal hoffnungsvoll, was die Stimmung an ihrer Universität und das Gesprächsklima zum Nahostkonflikt betrifft. Sie habe Positives aus den vielen Seminaren zum Thema sowie anderen Gesprächsrunden, etwa innerhalb von Instituten, gehört. Ihr sei berichtet worden, „dass ein friedlicher akademischer Austausch aktuell wieder möglich ist, und zwar auch unter Menschen mit verschiedenen politischen Ansichten und in Diskussionen, die durchaus kontrovers geführt wurden.“

Das betreffe auch Studierende aus der Protestbewegung zu Gaza, die an Uni-Gesprächen teilnahmen. Zwei Veranstaltungen, die die antisemitismuskritische Studierendengruppe „Tacheles“ kürzlich ausgerichtet habe, seien ebenfalls reibungslos verlaufen, mit um die 100 Teilnehmenden.

Dass Starrsinn wenig fruchtbar ist und die Begegnung Konflikte lösen kann: Eine Botschaft, die man dieser Tage nicht nur in den Nahen Osten senden möchte.

Ab Ende November soll das Stück aus der Installation Martinis auch auf der HU-Website zu hören sein.