Salzburger Festspiele: Gifthauch der Intoleranz
Ein dumpfes Dröhnen liegt in der Luft. Zu beiden Seiten der Bühne sitzt eine fünfköpfige Band, kaum zu erkennen hinter einem Pyronebel-Schleier und reiht mit allerhand Schlagwerk minimalistische Pattern aneinander. Die unablässig kreisende Drehbühne steuert Schleif- und Maschinengeräusche bei zu einem unheilvoll wummernden Klangteppich.
Die Drehbühne besteht aus drei Drehscheiben, die mitunter auch gegeneinander rotieren und dem nun aus dem Halbdunkel auftauchende Personal ständigen Widerstand bieten, gegen denn angegangen werden muss. Das Drehen erlaubt keinen Stillstand, denn die Drehscheibe zieht ganz buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Die Figuren müssen also stets gegen die Laufrichtung der Scheibe ankämpfen, manchmal stampfen sie oder tarieren vorsichtig, wenn die Scheibe langsam dreht. Und halten ihre Körper in ständiger Hochspannung, die Arme leicht ausgebreitet, als balancierten sie auf einem Hochseil.
Voltaire, Kant, Goethe
Die Stimmen verstärkt – und dadurch verfremdet – pressen sie stockend die Texte aus sich heraus, rhythmisch strukturierte Pausen unterbrechen den Satzfluss, jedes Wort hämmert sich einzeln ins Hirn. Sei es nun aus Lessings berühmten Thesenstück oder auch von Voltaire, Kant, oder Johann Gottlieb Fichte, von dem ein drastisches Zitat am Anfang des mit vier Stunden überlangen Abends steht: Da hört man zwar vom „Gifthauch der Intoleranz“, dem man nicht Vorschub geben wolle und davon, dass das Menschenrecht der Juden unantastbar sei. Das Bürgerrecht aber könne den Juden nur dann gewährt werden, wenn man sich entschlösse, „in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei“.
Regisseur Ulrich Rasche konterkariert Lessings Aufklärungsstück also mit der Frage, ob der Antisemitismus allen Beteuerungen zum Trotz ein systemimmanentes Phänomen der Aufklärung bis hin zum heutigen offenen Gesellschaftsmodell war und ist. Und ob hinter Toleranzgedanken nicht auch wieder Absolutheitsansprüche lauern. Der Abend lässt wenig Zweifel daran, dass dem tatsächlich so ist.
Unter Hochspannung belauern sich die Figuren, der für Rasche typische Chor setzt sich aus christlichen Figuren des Dramas zusammen, die aus ihm bisweilen hervortreten und wieder in ihm verschwinden. Drei Schauspielerinnen und zwei Schauspielern teilt Rasche feste Rollen zu.
Valery Tscheplanowa ist „Nathan“ der „reiche Jude“, zerbrechlich zart und trotzdem vibrierend vor Spannung wirkt sie wie eine Tänzerin, mit heller, klarer Stimme skandiert sie ihre berühmten Texte, zelebriert die Ring-Parabel wie eine große Anklage, ist hinreißend präsent und macht zugleich frösteln ob ihres analytischen Fatalismus.
Nicola Mastroberardino ist ein ebenbürtiger Gegenspieler Saladin, Julia Windischbauer gibt Nathans Tochter entwurzelter Tochter Recha Zartheit und Verzweiflung, Almut Zilcher ist als Saladins Schwester Sittah von bohrender Rechthaberei, Mehmet Ateşçi ein empfindsam Zaudernder. Alle bestechen mit plastischer Diktion, Rhythmus und nicht zuletzt mit enormer Kondition, dieses erschöpfende archaische Text-Ritual durchzustehen. Im letzten Drittel des Abends schleicht sich eine gewisse Redundanz ein, weniger wäre mehr gewesen. Dennoch: ein ästhetisch, formal und inhaltlich starker Abend. Großer Jubel der Durchhalter.