Die Woche: Leben und Gegenleben

Die Geschichte der dieser Tage auch auf Deutsch erscheinenden Philip-Roth-Biografie ist eine verschlungene, erzählenswerte, romantaugliche. Lange vor dem Tod des großen amerikanischen Schriftstellers im Jahr 2018 war von ihr schon die Rede, insbesondere zu der Zeit, um 2012 herum, als Roth zur Überraschung vieler verkündet hatte, mit dem Schreiben ganz aufzuhören. Nur an seiner Biografie arbeite er noch schreibend mit, so Roth damals.

Als Lebensaufzeichner war von Roth der Schriftsteller Blake Bailey auserkoren worden. Bailey hatte auch die Biografien von John Cheever, Richard Yates und Charles Jackson geschrieben und war für die von Cheever mit einem National Book Award ausgezeichnet worden. Roth führte viele Gespräche mit Bailey und gewährte ihm alle Einblicke, die sich ein Biograf nur wünschen kann, „beinahe jedes Stückchen sachdienlicher Information“, wie Bailey schreibt, „ganz gleich, wie intim…“.

Bailey wird des sexuellen Missbrauchs beschuldigt

Drei Jahre nach dem Tod von Roth erschien dann in den USA „Philip Roth: The Biography“, 900 ultimative Seiten stark, und landete sofort in den Bestsellerlisten, auch von der Kritik gefeiert. Kurze Zeit später nahm der Verlag W. W. Norton das Buch jedoch wieder vom Markt. Der Grund: Mehrere Frauen hatten Bailey vorgeworfen, sie sexuell schwer belästigt zu haben. Wie meist in solchen Fällen: Es steht Anschuldigung gegen Sich-keiner-Schuld-bewusst-sein. Verurteilt wurde Bailey bislang nicht.

Bailey fand mit Skyhorse Publishing einen neuen Verlag, der unter anderem den Trump-Hagiografen Michael Cohen zu seinen Autoren zählt oder die Woody-Allen-Biografie in einem Imprint veröffentlicht hat. Und nun ist die Roth-Biografie also auch in Deutschland zu haben, veröffentlicht vom Hanser Verlag. Dieser verlegt einerseits hierzulande das Roth-Werk und hat sich die Rechte an der Biografie schon 2012 gesichert, andererseits macht Hanser inzwischen ein schön diverses Programm.

Für Roth besteht posthum eine gewisse Tragik darin, dass sein Leben von einem mutmaßlichen Vergewaltiger nacherzählt wird; ein Leben, das bekanntermaßen selbst stets von einem kompliziertem Verhältnis zum anderen Geschlecht geprägt war. Und das alles noch einmal auf 1100 ausufernden Seiten lesen? Zumal Bailey in seiner Danksagung noch ankündigt: „Irgendwann werde ich unsere interessante Zusammenarbeit vielleicht ausführlich schildern.“ Der Reiz ist groß, sich stattdessen lieber wieder einmal einen Roth-Roman vorzunehmen. „Gegenleben“ zum Beispiel.

Gerrit Bartels schreibt an dieser Stelle im Wechsel mit Katrin Sohns über die Ereignisse der Woche, die da kommen.

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