Wilfried Kanga genießt bei Hertha BSC großes Vertrauen : Nicht nur die Tore zählen

Die Behauptung, dass die Leistungsbilanz von Wilfried Kanga, dem Mittelstürmer von Hertha BSC, beispiellos wäre, lässt sich leicht widerlegen.

Acht Mal ist der Franko-Ivorer bisher in der Fußball-Bundesliga zum Einsatz gekommen, sieben Mal stand er in der Startelf und insgesamt 592 Minuten auf dem Feld. Noch immer ist er ohne jedes Tor für Hertha. Und ohne Vorlage noch dazu.

Für einen Mittelstürmer ist das nicht gut, keine Frage. Aber es ist auch nicht historisch schlecht.

Artur Wichniarek erzielte in der Saison 2003/04 erst im 14. Einsatz für Hertha BSC sein erstes Bundesligator, nachdem er sich insgesamt 733 Minuten vergeblich bemüht hatte. Und Ishak Belfodil benötigte zwölf Spiele und 660 Einsatzminuten bis zu seinem ersten Treffer für die Berliner.

Wichniarek ist möglicherweise eine etwas problematische Bezugsgröße, weil er bei Hertha nie richtig glücklich wurde. Und Hertha nicht mit ihm. Belfodil hingegen hatte vorige Saison einigen Anteil daran, dass die Berliner weiterhin erstklassig sind.

Es besteht also kein Grund, wegen Wilfried Kanga schon jetzt ins Grübeln zu geraten.

Schlecht fürs Seelenheil. Stürmer brauchen Tore. Die aber fehlen Wilfried Kanga noch bei Hertha BSC.
Schlecht fürs Seelenheil. Stürmer brauchen Tore. Die aber fehlen Wilfried Kanga noch bei Hertha BSC.
© Foto: IMAGO/Fotostand

Bei seinem Arbeitgeber tun sie das sowieso nicht. Weil sie Augen haben zu sehen. Und weil sie sehen, dass Kanga auch jenseits von Toren einen Wert für die Mannschaft hat.

„Er reißt sich wirklich den Hintern auf für die Truppe“, hat Fredi Bobic vor kurzem gesagt. „Das ist gut. Das brauchen wir. Er ist verlässlich. Ein verlässlicher Spieler, der immer abliefert.“

Bobic, Sportgeschäftsführer des Klubs, war früher selbst Stürmer. Nach seinem Wechsel zu Hertha BSC brauchte er in der Saison 2003/04 vier Spiele, bis er erstmals traf.

Es war eine andere Zeit. Die Ressorts arbeiteten noch streng voneinander getrennt. Die Verteidiger verteidigten, die Stürmer schossen die Tore. Das gilt so längst nicht mehr. „Er wird von mir nicht nur an Toren bewertet“, sagt Bobic über Kanga. Andererseits brauche jeder Stürmer irgendwann Tore, „für seine Seele auch“.

Seit dieser Aussage sind zwei weitere Spiele vergangen, in denen Kanga leer ausgegangen ist. Dazu zwei Länderspiele mit der Elfenbeinküste, die ersten beiden überhaupt für Kanga. Wie steht es also vor Herthas Heimspiel gegen den SC Freiburg an diesem Sonntag (17.30 Uhr, live bei Dazn) um sein Seelenheil?

Das Vertrauen in Willi und seine Fähigkeiten ist riesengroß.

Sandro Schwarz, Trainer von Hertha BSC

„Wenn wir ihn im Alltag sehen, mit ihm sprechen, ihn im Training beobachten, haben wir überhaupt nicht den Eindruck, dass er sich damit tiefgründig beschäftigt“, sagt Trainer Sandro Schwarz. „Ich empfinde ihn nicht als ungeduldig. Es wird kommen. Da bin ich mir sicher.“

Einige Male war der 24-Jährige schon nah dran. Bei seinem Startelfdebüt gegen Frankfurt vergab Kanga auf spektakuläre Weise eine Großchance. Gegen Leverkusen traf er den Pfosten, und vor einer Woche gegen Hoffenheim erarbeitete er sich in der Anfangsphase mit Wucht und Entschlossenheit eine gute Gelegenheit, jagte den Ball dann aber über das Tor.

Wenn man erklären will, warum die Rezeption seiner Auftritte trotz allem so positiv ausfällt, wird auf seinen Beitrag zum 1:0 bei Herthas erstem (und bis heute einzigem) Saisonsieg gegen den FC Augsburg verwiesen. Kanga war es, der nach einem eigentlich schon verpufften Angriff dranblieb und dem Augsburger Verteidiger Jeffrey Gouweleeuw den Ball abluchste.

Keiner bereitet mehr Torschüsse vor

„Das Vertrauen in Willi und seine Fähigkeiten ist riesengroß“, sagt Trainer Schwarz. „Er ist sehr fleißig, läuft sehr gut an, um das Pressing einzuläuten. Er hat in der Ballbehauptung eine enorme Wucht und einen guten Tiefgang.“

Mit 13 Torschussvorlagen führt Kanga die teaminterne Statistik bei Hertha an; mit 1,93 Torschussvorlagen in 90 Minuten ebenfalls. Das Problem ist: Als Mittelstürmer wäre Kanga eigentlich dazu da, die Vorlagen zu verwerten.

Er selbst hat bisher nur zehn Torschüsse abgegeben – genauso viele wie Kölns Sechser Ellyes Shkiri oder die Außenverteidiger Julian Ryerson (Union), Aaron Martin (Mainz) und Benjamin Henrichs (Leipzig). Bei Hertha liegt er mit diesem Wert hinter den beiden Außenstürmern Chidera Ejuke (14) und Dodi Lukebakio (21).

Trainer Schwarz sieht trotzdem kein grundsätzliches Problem. „Was wir noch zu verbessern haben, das sind die Laufwege, die Abstimmung und das Timing“, sagt er.

In dieser Woche hat das Trainerteam Kanga Videosequenzen gezeigt, wie er sein Freilaufverhalten und das Verhalten im Strafraum optimieren kann. Dass er es kann, das habe der Stürmer in den Spielen aber schon längst und immer wieder unter Beweis gestellt, erklärt Schwarz.

Auch in dieser Saison schon. Bevor Wilfried Kanga im August für 4,5 Millionen Euro zu Hertha BSC wechselte, ist er für Young Boys Bern noch zweimal in der Schweizer Super League zum Einsatz gekommen. In diesen beiden Spielen gelangen ihm drei Tore und ein Assist.

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