Kolumne „Spiegelstrich“: Auf der Suche nach Fehlern

Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Was für ein Fehler ist der Doppelwumms. Die Wortschöpfung unseres seriösen Kanzlers infantilisiert Politik, macht die Sprache der Politik zur Comic-Sprache, zu Zisch, Bämm, Flutsch. Darf sie das nicht? Doch, darf sie, dürfte sie. Sprache soll sich vorwagen, etwas riskieren. Und in der Politik sollten pointierte, auch plakative Begriffe helfen, Komplexes zu greifen.

Im konkreten Fall war das Vorhaben nicht ausgegoren: Wie wird der Doppelwumms finanziert, was meint der Begriff genau? Es ist mal wieder nicht klar, nächtelang wird verhandelt. Und wie übersetzen wir das Wort unseren europäischen Partnern, die deutsche Alleingänge beklagen, zuerst Deutschlands Schwäche gegenüber Russland und nun Deutschlands Fixierung auf Deutschlands Sorgen?

„Double wham“ oder „double bang“ ginge im Englischen. „A bigger bang“ gab es immerhin bei den Rolling Stones, „double oomph“ wurde diskutiert und verworfen, da es zu sehr an Marilyn Monroe erinnere. „Double flèche“ schlägt das Wörterbuch Leo fürs Französische vor sowie „doppio boom“ fürs Italienische, aber das hilft ja nichts, wenn wir im wahren europäischen Leben nicht verstanden werden.

Fehler also sind unser heutiges Thema. Erste Erkenntnis: Wir sollten über die Wirkung eines Begriffes nachdenken, ehe wir den Begriff hinaus in die Welt schleudern. Zweite Erkenntnis: Korrektur lesen, mindestens einmal.

Die durch Sabotage geplagte Bahn twitterte am Samstag: „Aufgrund einer Reparatur an der Strecke ist im in ganz #Norddeutschland derzeit keine Zugfahrten möglich.“ War die Eile ein Grund? Na ja, beide Fehler, „ist … Zugfahrten“ und „im in“, wären in fünf Sekunden zu entdecken gewesen.

Es ist übrigens weniger klar als in früheren Zeiten, was eigentlich Fehler sind: Die Smartphone-Sprache verkürzt und beschleunigt Wörter und Sätze, verändert die gesprochene Sprache, die wiederum Texte verändert. Zwischen System- und Normfehlern unterscheidet die Linguistik. Erstere bleiben immer und unter allen Umständen Fehler, letztere mögen in der konkreten Situation unangemessen sein, aber nicht zwingend falsch.

Eine wundervolle Studie führte Mathilde Henning vor bereits zwölf Jahren an der Universität Gießen durch: 25 potenzielle Fehler baute sie in einen Aufsatz ein, „potenziell“ heißt, dass einige eindeutig waren, andere Ansichtssache. 40 Probanden, allesamt Fachmenschen, merkten insgesamt verblüffende 57 Fehler an, und keinen einzigen Systemfehler entdeckten sie alle. „Es handelt sich um ein Unfall“ strichen 90 Prozent an, „Das Büro von Herr Becker“ nur noch 70 Prozent, „Plötzlich lautes Geschrei!“ jedoch 42,5 Prozent, warum bloß?

Mich interessieren sowieso eher die Fehler im Denken. Da schreiben nun also Richard David Precht und Harald Welzer ein Buch namens „Die vierte Gewalt“ und wollen der Nation erklären, wie deutsche Medien zu einer Mehrheitsmeinung kämen, die keine sei, zu einer Einheitsmeinung also.

Ein Bestseller, logisch, und was für ein wichtiges Thema; aber wie verschenkt, nämlich ohne Kenntnis des Innenlebens von Redaktionen und viel zu oft frei von Kenntnis dessen, was tatsächlich gesagt und geschrieben wurde – keine Empirie, kaum Belege. „Umso erstaunlicher ist, dass sie alle sich gleichwohl mit holzhackerischer Sicherheit ein Urteil zutrauen – und zwar meistens das gleiche“, schreiben die beiden, holzhackend ihrem Vorurteil folgend. Und wie beleidigt sie reagieren, wenn sie nun selbst kritisiert werden.

Dritte Erkenntnis: Recherche und Sorgsamkeit helfen nicht nur bei der journalistischen Arbeit, sondern auch bei Arbeiten über Journalismus.

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