Mit der Braut stimmt was nicht

Die Gleichzeitigkeit von Krieg und Frieden ist auch im Theater bedrückend. Oder, in den Worten von Anke Politz, der Intendantin des Berliner Chamäleon Varietés: „Es fällt schwer, den Bogen zu spannen von dem, was in der Ukraine passiert, zu dieser freudvollen Premierenfeier.“ Unternommen wird der Versuch trotzdem.

Der Saal am Hackeschen Markt ist voll, viel Politprominenz versammelt. Darunter die französische und die dänische Botschafterin in Berlin, Kultursenator Klaus Lederer, der Regierende Bürgermeister a.D. Michael Müller. Seine Nachfolgerin Franziska Giffey lässt sich entschuldigen – bestimmt arbeitet sie gerade am Aufbau von Hilfsstrukturen für die Geflüchteten aus der Ukraine, die man bislang in Berlin den vielen Freiwilligen überlassen hat. In den Gläsern sprudelt derweil ein launiges Begrüßungsgetränk mit Ingwer.

Immerhin, das Stück, das auf dem Spielplan steht, lädt nicht zum Schwelgen in Eskapismus ein. Vielmehr „parodiert es eine Gesellschaft Ende der 1930er Jahre in den USA, die sich in Dekadenz und Ignoranz den Realitäten entzieht“, so Politz. Der Titel: „The Elephant in the Room“. Und das wiederum sei ja die gute Nachricht: „Wir leben in einer Zeit, in der niemand mehr still ist angesichts des riesigen Elefanten.“ Hört, hört. Chapeau auch dafür, dass sich die Intendantin das Motto der diesjährigen Ruhrfestspiele ausleiht, um den Abend (und überhaupt ihr Theater) aufs richtige Gleis zu setzen: „Haltung und Hoffnung“.

Es brauchte einen langen Atem

Wer regelmäßig ins Chamäleon Varieté geht, weiß natürlich, dass hier schon lange kein Firlefanz betrieben, sondern in großer Ernsthaftigkeit am künstlerischen Fortkommen des neuen Zirkus gearbeitet wird. Jüngst hat das Haus eine neue Struktur bekommen, aus dem privaten Theater ist eine gemeinnützige Gesellschaft geworden. Das Chamäleon will fortan nicht nur Bühne sein, sondern ein Kreativ- und Produktionszentrum, wo der gesamte Kreislauf des künstlerischen Schaffens stattfindet: vom ersten Ideen-Workshop bis zur Berlin-Premiere.

Die Performer laufen zu akrobatischen Höchstleistungen auf.Foto: Jean Penninck

Im besten Fall mit anschließender Welttournee. Dass es dafür einen langen Atem braucht, beweist wiederum die Premiere „The Elephant in the Room“. Die ersten Gespräche über die Zusammenarbeit zwischen der französischen Compagnie Cirque Le Roux und den Chamäleon-Betreiber:innen liegen weit über ein Jahrzehnt zurück, wie Geschäftsführer Hendrik Frobel berichtet.

Die Produktion ist 2015 entstanden, bereits mit viel Erfolg in Edinburgh gelaufen – und nun für Berlin überarbeitet worden. Selbst für Chamäleon-Verhältnisse ist die Inszenierung ungewöhnlich performativ, die slapstickaffine Akrobatik geht ganz in einer Hommage an den Film noir auf.

Hervorragend performt, bestechend inszeniert

In deren Zentrum steht – als einzige Frau, beziehungsweise genregerecht: femme fatale – die Kolumbianerin Lina Romero in der Rolle der Betty Barick. Die undurchsichtige Lady ist frisch vermählt, das Stück spielt sich während der Hochzeitsfeier auf ihrem luxuriösen Anwesen ab, genauer gesagt in dessen dunkel tapezierter, schön zwielichtiger Raucherlounge. Während sich draußen Weltwirtschaftskrisen und fatale politische Strömungen zusammenbrauen, werden drinnen Whiskey, Champagner und überdimensionierte Buffetplatten gereicht (mit großen Auftritten von Kritonas Anastasopoulos und Naël Jammal als kellnerndem Duo im Pat-&-Patachon-Stil).

[Vorstellungen bis 29.5., mehr Informationen unter www.chamaeleonberlin.com]

Zwischen Gershwin-Klängen und Elektrobeats, Hand-auf-Hand-Akrobatik und bemerkenswerten Nummern am Chinesischen Mast, entwickelt sich eine schräge Story um einen überforderten Ehemann (Jack McGarr), seinen Trauzeugen (Antonio Terrones y Hernandez) und einen ziemlich schamlosen Nebenbuhler, gespielt von Graig Gadd. Das ist hervorragend performt, bestechend in Setdesign und Inszenierung – die Regie führte Charlotte Saliou. Der sprichwörtliche Elefant im Raum, das ist hier der eigentlich unübersehbare Umstand, dass mit der Braut etwas ganz und gar nicht stimmt. Man muss es nur sehen wollen.