Jonas Mekas-Filmreihe: Hommage an einen unabhängigen Geist

Jonas Mekas muss lachen, als er sagt: „21. Juli 1944, gestern wurden wir nach Elmshorn gebracht. Wir protestierten.“ Der Filmemacher erinnert sich 2012 in seinem Film „Reminiszenzen aus Deutschland“ an den eigenen Protest gegen die deutsche Willkür. Im Singsang gibt er den aufgeblasenen Kriegspropagandapomp der Antwort wieder. Mekas ist 21, als er mit seinem Bruder in ein Zwangsarbeiterlager nach Elmshorn verschleppt wird. 27 Jahre später besucht sein Bruder Adolfas die Firma, in der die beiden zur Arbeit gezwungen wurden. Einer der Vorarbeiter ist noch immer da. Im März 1945 fliehen die beiden Brüder nach Dänemark.

Im Oktober 1949 besteigen sie ein Schiff in die USA. Wenige Monate nach der Ankunft kauft sich Jonas Mekas eine Bolex-Kamera und beginnt, seine schriftlichen Tagebücher durch Filmaufnahmen zu begleiten. Im New York der 1950er Jahre werden die beiden Brüder, vor allem aber Jonas Mekas, zu Protagonisten der Avantgardefilmszene. Aus Anlass von Mekas’ 100. Geburtstag finden derzeit weltweit Veranstaltungen zu Ehren des Filmemachers statt.

Ab Mittwoch zeigt das Kino Arsenal unter dem Titel „Jonas Mekas. 100 Years of Cinema, Arts, and Politics“ 19 Programme, die das Werk des Filmemachers umkreisen. Die Reihe präsentiert Filme von Mekas selbst, aber auch Werke, die ihn begleitet haben. Zur Eröffnung läuft an zwei Nachmittagen das sechseinhalbstündige biographische Interview des United States Holocaust Memorials.

In New York entdeckt Mekas auch das Kino für sich. 1955 gründet er die Zeitschrift Film Culture als Medium für die Diskussion von Film als Kunstform. Im November 1958 fragt er Jerry Tallmer, einen der Mitgründer der Wochenzeitung „The Village Voice“, warum es keine Filmkolumne gäbe. Tallmer fragte zurück, warum Mekas nicht eine schreibe.

Am 4. Februar 1959 schreibt Mekas in der unterdessen knapp vier Monate alten Kolumne: „Jeder Bruch mit dem konventionellen, toten, offiziellen Kino ist ein gesundes Zeichen. Wir brauchen weniger perfekte und mehr freie Filme. Es gibt keinen anderen Weg, die eingefrorenen Kinokonventionen zu durchbrechen als durch eine vollständige Störung des offiziellen Verständnisses von Kino.“

Der Regisseur Peter Bogdanovich wiederum erinnert sich, wie Mekas Anfang der 1960er Jahre mit einem Marker auf die Wand im Büro eines New Yorker Kinos schrieb: „Die besten Filme entstanden in Hollywood.“ In der filmischen Welt von Mekas stehen sich Avantagardefilm und populäres Kino nicht antagonistisch gegenüber. Anfang der 1960er Jahre gehört Mekas zu den Gründern der Film-Makers’ Cooperative, die den Verleih und die Vorführung von Avantgardefilm fördern soll.

Szene aus dem Gefangenentheater-Film „The Brig“.
Szene aus dem Gefangenentheater-Film „The Brig“.
© Arsenal

Ein karger, in etwa quadratischer Raum, dessen größten Teil ein rechteckiger Käfig einnimmt. In dem Käfig sind knapp zehn Männer auf Pritschen untergebracht. Von außerhalb schreien Männer in Uniform auf sie ein. Das Theaterstück „The Brig“ von Kenneth H. Brown zeigt die alltäglichen Erniedrigungen der Gefangenen in einem Militärgefängnis der US-Armee. 1963 führt die Living Theater Group das Stück in New York auf. Mekas’ „The Brig“ ist denkbar weit entfernt von den oft üblichen starren Aufnahmen. Nur selten weicht die Kamera von der Bühne in den Zuschauerraum, meist bleibt Mekas dicht an den Gefangenen dran. Der Film wird Mekas erster größerer Erfolg.

Wiesen, Felder, einige grasende Kühe, Heuhaufen, alles aus dem Zug gefilmt. „Und da war Mama. Sie wartete. Sie wartete seit 25 Jahren. Und da war unser Onkel, der uns riet in den Westen zu gehen. […] Und wir gingen und gehen immer noch.“ 1971 werden Jonas und Adolfas Mekas vom sowjetischen Kulturministerium zu den Filmfestspielen nach Moskau eingeladen. Zum ersten Mal seit 25 Jahren sehen sie ihre Familie in Litauen. „Reminiscences of a Journey to Lithuania“ begleitet diese Reise. Aus dem Off reflektiert Jonas Mekas über die alte Heimat und das neue Zuhause in den USA.

Die Mutter der beiden Filmemacher steht mit verschränkten Armen im schwarzweißen Kleid vor Büschen und schaut skeptisch. „Mama klagt, dass ihr Gedächtnis nachlässt. ‚Das einzige, was man über das Alter wissen muss, ist, dass man seine Löffel nicht mehr findet‘, sagte sie.“ Der Film zählt zu Mekas’ bekanntesten, etablierte die Form der Tagebuchfilme. Ein Jahr zuvor hatte Mekas in New York mit Mitstreiter_innen die Anthology Film Archives gegründet, als Ort, um experimentelles Kino zeigen zu können.

Der Film ist auch der erste, der im Rahmen des Forums des Internationalen jungen Films auf der Berlinale läuft. Der erste, den das Arsenal zeigt, ist er nicht. Noch bevor das eigene Kino existiert, zeigen die Freunde der deutschen Kinemathek, aus denen das Arsenal hervorgehen sollte, 1964 in der Akademie der Künste Adolfas Mekas „Hallelujah, the Hills“, kurz darauf „The Brig“. Über die Jahre folgten weitere Einladungen zum Forum. Vor fast genau drei Jahren ist Mekas in Brooklyn gestorben.

Zur Startseite