Blitze über dem Bodensee
Das Gewitter wird musikalisch angekündigt, das Wasser fließt aus den mächtigen Fingern und den dunklen Augenhöhlen Rigolettos wie ein Starkregen – da zeichnen sich echte Blitze über dem Bodensee ab. Die Natur bildet an diesem lauen Sommerabend den perfekten Rahmen für das markante Bühnenbild von Regisseur Philipp Stölzl mit dem riesigen Kopf, der Hand und dem Ballon. Eigentlich war zum 75-jährigen Jubiläum der Bregenzer Festspiele eine Neuproduktion von Puccinis „Madame Butterfly“ in der Regie des Züricher Intendanten Andreas Homoki geplant, die nun aber wegen der Coronapause im letzten Sommer auf 2022 verschoben wurde.
In diesem Jahr ist deshalb nochmals der spektakulär berührende „Rigoletto“ zu sehen. Dirigentin Julia Jones entwickelt mit den Wiener Symphonikern im Laufe des Abends eine gut ausbalancierte, immer plastischer werdende Lesart. Long Longs Herzog hat Wärme und Höhenglanz, Vladimir Stoyanovs Rigoletto Kantabilität und Wucht. Und Ekaterina Sadovnikova glänzt als Gilda durch eine makellose Koloratur. Als Rigolettos Tochter am Ende stirbt, schwebt ihre gleich gekleidete Doppelgängerin im Ballon in den Nachthimmel. Der Tod als Befreiung – ein letztes starkes Bild!
Arrigo Boitos Oper „Nerone“, mit der die Bregenzer Festspiele tags zuvor im voll besetzten Festspielhaus (ohne Maskenpflicht) eröffnet wurden, lebt von ihren Kontrasten zwischen Individuum und Masse, zwischen Askese und Rausch, zwischen verklärtem Christentum und hemmungsloser Dämonie. 56 Jahre hat der Komponist an „Nerone“ gearbeitet und die Oper trotzdem nicht zu Ende bringen können. Der fünfte Akt, in dem Kaiser Nero dem Wahnsinn verfällt, blieb unvertont.
56 Jahre Arbeit, doch die Partitur von Nero blieb unvollendet
Die sonstigen unvollendeten Passagen komplettierte Arturo Toscanini mit zwei Mitstreitern für die von ihm dirigierte Uraufführung 1924 an der Mailänder Scala. Ins Repertoire schaffte es die zweieinhalbstündige Oper bis heute nicht – und die Bregenzer Produktion wird daran wahrscheinlich auch nichts ändern. Dafür ist die Geschichte zu wenig stringent erzählt, dafür fehlt den Charakteren ein klares Profil, dafür ist auch die Musik zu kleinteilig und zu sehr auf Effekt getrimmt. „Nerone“ bleibt ein Sorgenkind.
Das hat auch mit dem Bregenzer Abend zu tun, dem es kaum gelingt, einen musikdramatischen Sog zu erzielen und der auch szenisch keinen packenden Zugriff findet. Dirigent Dirk Kaftan spitzt mit den Wiener Symphonikern die Konflikte zu. Das ist besonders zu Beginn des vierten Aktes eindrucksvoll, wenn Nero im Circus Maximus seinen Sadismus auslebt und die Christen den wilden Tieren zum Fraß vorwerfen lässt. Da rumpelt es im Orchestergraben, da schneidet das Blech, da dröhnt die große Trommel. Die Crescendi werden zu Schwellern forciert. Die Konturen sind hart und scharf, die Lautstärke bewegt sich im Fortissimo an der Brutalitätsgrenze. Aber im Detail fehlt es dem plastischen Orchesterklang an Nuancen. Und auch der stimmgewaltige Prager Philharmonische Chor zeigt neben Licht auch Schatten, besonders bei der Intonation der Männerchöre.
Triumph auf der Seebühne, entfesselte Orchesterwucht im Festspielhaus
Regisseur Olivier Tambosi, der in Bregenz bereits 2016 Franco Faccios Oper „Hamlet“ nach einem Libretto von Arrigo Boito inszeniert hatte, grenzt die unterschiedlichen Sphären plakativ voneinander ab. Auf der einen Seite die dämonisch-heidnische Welt des Magiers Simon Mago mit blutverschmierten Mänteln und schwarzen Engelsflügeln, auf der anderen Seite die christliche mit Dornenkrone und Ordenstracht (Kostüme: Gesine Völlm). Die Leiche von Neros Mutter Agrippina, von ihm selbst ermordet, liegt im grünen Abendkleid als personifiziertes schlechtes Gewissen auf der Bühne.
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Dass aber der Regisseur auch den Chor in diese Kostüme steckt, hat dann doch mehr mit unfreiwilliger Komik zu tun als mit ins Bild gesetzten Alpträumen und erinnert eher an Charleys Tante, zumal sich Nero im zweiten Akt im gleichen Kostüm von Asteria auf einem Billardtisch verführen lassen muss – eine von etlichen verschenkten Szenen. Auch die mit Leuchtflächen versehene labyrinthische Quaderlandschaft von Frank Philipp Schlössmann entfaltet kaum Suggestionskraft. Die immer wieder in Gang gesetzte Drehbühne sorgt für zusätzlichen Leerlauf.
Der mexikanische Tenor Rafael Rojas stattet Nero mit strahlender Höhe und beachtlichem vokalen Durchsetzungsvermögen aus. Lucio Gallo entfaltet als schwarzer Magier Simon Mago mit seinem markigen Bariton echte Dominanz. Sein christlicher Gegenpart Fanuèl klingt bei Brett Polegato weicher, lyrischer und verbindlicher, leider aber auch intonatorisch unsicherer. Alessandra Volpe, meist im Nonnengewand, gestaltet diese Partie mit satter Tiefe und schöner Linienführung.
[Die Festspiele gehen bis zum 22. August. Infos unter bregenzerfestspiele.com]
Richtig schlau wird man aus dieser Frauenfigur genauso wenig, wie aus der sich – ähnlich Wagners Kundry – zwischen den Welten bewegenden Asteria, der Svetlana Aksenova Intensität und Strahlkraft schenkt. Am Ende steht Rom in Flammen – und Nero sitzt gelangweilt auf seinem Sessel, während die Leichen besichtigt werden. Dirigent Dirk Kaftan entfesselt ein letztes Mal die Orchesterkräfte. Der Schlussakkord wird von Moll nach Dur gerückt. Aber ein Happy End sieht anders aus.