Der nordkoreanische Künstler Sun Mu in Berlin: Übermalen der Macht

Die Parolen der Machthaber mit Füßen treten. Ganz wortwörtlich, auf den Treppenstufen. Ob das den nordkoreanischen Botschaftsangehörigen gefallen wird? Davon, dass welche die Ausstellung „I am Sun Mu“ im Kunstraum Meinblau auf dem Pfefferberg besuchen werden, ist Kurator Bernhard Draz überzeugt.

Sun Mu gilt in Nordkorea als Landesverräter, als Staatsfeind. Den mit Sonnenbrille und Hut vermummten Künstler kümmert so ein möglicher Besuch offensichtlich wenig. Seiner in Nordkorea zurückgebliebenen Familie wegen zeigt er in der Öffentlichkeit nie sein Gesicht und arbeitet unter Pseudonym. Sun Mu, das heißt auf Koreanisch so viel wie „Ohne Linie, ohne Grenze“. Ein Künstler, der seinen Traum von der Wiedervereinigung Koreas als Namen führt.

„Socialism is science“, Sozialismus ist Wissenschaft, übersetzt Sun Mu einen der gemalten Slogans auf der Treppenstufe. An den Wänden hängen noch mehr: „Was die Party entscheidet, tun wir. Auch wenn der Weg hart ist, wir gehen ihn mit einem Lächeln. Diene dem Volk.“ Neben Sun Mus farbenfrohe Ölgemälde und Papiercollagen gehängt, fungieren die Weiß auf Rot getuschten Schriftzeichen als ironisches Zitat. Die Slogans stammen aus dem propagandistischen Vokabular Nordkoreas. So aus dem Zusammenhang gerissen, erzählen sie von der Absurdität der dortigen politischen Realität.

Der sozialistischen Diktatur, in die er 1972 in einer Kleinstadt in der Nähe der demilitarisierten Zone hineingeboren wurde, hat Sun Mu vor Jahrzehnten den Rücken gekehrt. Was ihn allerdings nicht davon abhält, sich künstlerisch an Nordkorea und dem spannungsreichen Verhältnis zu Südkorea abzuarbeiten. Ein Thema, das man in Deutschland und in Berlin gut verstehe, wie Sun Mu in Anspielung auf die historische Erfahrung der Stadt- und Landesteilung sagt.

Eine akademische Ausbildung hat der Künstler schon in Nordkorea erhalten. Als traditioneller Propagandamaler der Armee. Die große Hungersnot der neunziger Jahre trieb ihn zur Flucht. Er sei durch einen der Grenzflüsse nach China geschwommen, erzählt er, und habe dort vier Jahre gelebt, bis er sich ohne Pass über Thailand und Laos nach Südkorea durchschlug. Dort besuchte er eins der obligatorischen Umerziehungscamps für geflüchtete Nordkoreaner und studierte bis 2009 noch einmal Kunst an der Hongik Universität in Seoul.

Seither lebt Sun Mu mit seiner Familie als freier Künstler in Seoul und stellt regelmäßig auch in den USA und Europa aus. In Berlin zuletzt 2015 im Kunstverein Neue Gesellschaft für bildende Kunst. Im selben Jahr hat der Regisseur Adam Sjöberg ihm einen Dokumentarfilm gewidmet. „I am Sun Mu“ erzählt mittels wummernder Beats und rasanter Animationen von Sun Mus Arbeiten, von einem Ausstellungsprojekt in Peking, das 2014 an den Interventionen nordkoreanischer und chinesischer Behörden scheiterte.

Sun Mu ist ein lockerer, angstfreier Typ. Ein Mann der direkten Botschaften und kräftigen Farben, subtil ist nichts in seiner Kunst, satirisch subversiv aber schon. Dass sich Sun Mu auch als Menschenrechts- und Friedensaktivist sieht, wie Bernhard Draz anmerkt, lässt sich eins zu eins draußen an der Hauswand ablesen, wo die Flaggen von Nordkorea und den USA vom Dach herunterbaumeln. Unten verschlungen zu einem Knoten, der das spannungsreiche Verhältnis der Staaten symbolisiert. Wie die Arbeit heißt? „Knot“, Knoten, grinst Sun Mu. Doofe Frage, wie auch sonst.

In der nordkoreanischen Propagandamalerei gelten die USA als der böse Erzfeind. Die Verbrechen des Koreakriegs, die Landesteilung – die historischen Traumata füttern Hass-Bilder, die das Regime Kim Jong-uns am Leben halten. Umso spektakulärer gerieten die Gipfeltreffen zwischen Kim Jong-un und Donald Trump, nach denen man von einer bizarren Männerfreundschaft zwischen autokratischen Seelenverwandten sprach. Sun Mu macht daraus das Gemälde „Zwei Herzen“, das zwei Monolithen in Rot und Blau beim Körperkontakt zeigt.

Rot als Symbolfarbe Nordkoreas und Blau aus Symbolfarbe des Südens lassen sich überall in Sun Mus Arbeiten finden, auf denen er sich als gesichtsloser Mann mit Hut oder als Augenpaar, das aus rotem Grund schaut, auch selbst porträtiert. In seiner Kunst der kräftigen Farben führt Sun Mu Elemente der Pop-Art, des Sozialistischen Realismus und auf einigen Gemälden auch Anklänge an traditionelle koreanische Tuschemalerei zusammen. Oft in Kombination mit Schrift, nur dass sie hier – anders als in der Propagandamalerei – das Motiv ironisiert. Etwa wenn unter der stilisierten Abbildung einer nordkoreanischen und einer US-amerikanischen Rakete „Weltfrieden“ steht.

Ob Sun Mu auf eine Wiedervereinigung der alten und neuen Heimat hofft? „Ich wäre glücklich darüber, dann könnte ich endlich wieder nach Hause fahren. Aber in meiner Lebenszeit glaube ich nicht daran.“