Israel, Hamas und die Filmschaffenden: Ohne Wenn, mit Aber

Endich, ist der erste Gedanke, endlich meldet sich die hiesige Filmszene zum Hamas-Terror in Israel und zum Antisemitismus in Deutschland zu Wort. Eine am 9. November, dem 85. Jahrestag der Reichspogromnacht, auf artechock.de veröffentlichte Erklärung haben mittlerweile mehr als 550 deutschsprachige Filmschaffende unterzeichnet. Dazu gehören auch die Regisseur:innen Doris Dörrie, Dominik Graf, Sherry Hormann, Christoph Hochhäusler, Caroline Link, Edgar Reitz und David Wnendt sowie Constantin-Chef Martin Moszkowicz oder die Filmakademie-Geschäftsführerin Maria Köpf.

„Wir stehen vorbehaltlos solidarisch an der Seite aller an Leib und Leben bedrohten Jüdinnen und Juden in der Welt“, heißt es in dem Offenen Brief. Die Unterzeichnenden verurteilen „ohne Wenn und Aber“ den Terrorangriff der Hamas und treten „uneingeschränkt für das von der UNO verbürgte Existenzrecht des Staates Israel sowie das Recht auf Selbstverteidigung ein“.  

Das auch von zahlreichen Schauspieler:innen wie Meret Becker, Iris Berben, Burghart Klaußner und Hanns Zischler signierte Statement endet mit der Bestürzung über das Lautwerden antisemitischer Kräfte, die Jüdinnen und Juden auch in Deutschland in Lebensgefahr bringen. Dies dürfe nirgendwo auf der Welt geschehen, schon gar nicht „im Land, das die Shoah zu verantworten hat“.

Das sind klare Worte, von denen man sich gewünscht hätte, dass sie nicht erst einen Monat nach dem Terrorangriff und den prompt folgenden israelfeindlichen Pro-Palästina-Demos publik geworden wären. Denn bisherige Reaktionen aus der Filmcommunity hierzulande klangen deutlich anders. So hatten Studierende der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) Ende Oktober in einem Statement den „Genozid“ der israelischen Regierung im Gazastreifen und die „ethnischen Säuberungen im besetzten Westjordanland“ verurteilt. Gefordert wurden ein sofortiger Waffenstillstand sowie ein „Ende der Polizeigewalt“ und der vermeintlichen Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Deutschland. Der Hamas-Terror wurde nicht erwähnt.

Am 1. November verlangte wiederum eine von inzwischen fast 2000 internationalen, wenn auch weniger prominenten Filmschaffenden und Kurator:innen unterstützte Erklärung recht unverblümt den Boykott der Oberhausener Kurzfilmtage. Oder zumindest eine Distanzierung vom Festival und dessen Leiter Lars Henrik Gass seitens der internationalen Community. Gass hatte auf der Facebook-Seite der Kurzfilmtage zur Teilnahme an der Berliner Israel-Kundgebung am 22. Oktober ermuntert. „Zeigt der Welt, dass die Neuköllner Hamasfreunde und Judenhasser in der Minderheit sind“, schrieb Gass.

In der Protestnote gegen ihn wird er bezichtigt, die Palästinenser zu „entmenschlichen und zu stigmatisieren“. Sein Aufruf sei eine „gefährliche Dämonisierung jeder Person, die sich mit der palästinensischen Befreiungsbewegung solidarisiert“. Wie im Statement der DFFB-Studierenden wird die Community aufgefordert, sich für einen sofortigen Waffenstillstand einzusetzen, ebenso für die Verteidigung des Rechts, die Sache der Palästinenser:innen zu unterstützen.

Ähnliches ist auf internationaler Ebene gerade beim Amsterdam Film Festival (8. – 19.11.) geschehen, dem größten internationalen Dokumentarfilmfestival. Hunderte Personen und Kultureinrichtungen forderten den Boykott des Festivals, nachdem deren Leitung sich dafür entschuldigt hat, dass Aktivisten bei der Eröffnung den israelfeindlichen Slogan „From the river to the sea. Palestine will be free“ auf dem Podium gezeigt hatten. In der Boykott-Petition ist von einer Zensur der palästinensischen Befreiungsbewegung die Rede. Nach Informationen des „Guardian“ haben zwölf Filmemacher ihre Werke von der aktuellen Festivalausgabe zurückgezogen.

In Oberhausen hat Festivalleiter Gass umgehend auf die Kritik an seinem Facebook-Post reagiert. Auf der Webseite der Kurzfilmtage teilt er mit, er habe Palästinenser nicht stigmatisieren wollen und bedaure es, wenn dieser Eindruck entstanden sei. Aber er bleibt bei seiner Trauer, Empathie und dem Entsetzen über den Hamas-Terror. Und er wünscht sich, dass das Festival ein „Ort des freien Denkens und der Diskussion“ bleibt: Niemand solle sich wegen seiner Einstellung oder seiner Herkunft ausgeschlossen fühlen.

Solche Freiräume für den Dialog offenzuhalten oder überhaupt erst zu ermöglichen, ist gerade in diesen Tagen unglaublich schwer. Dabei sind sie unverzichtbar für die Demokratie: Orte, an denen Interesse an den Argumenten der anderen besteht und Meinungsverschiedenheiten zum Nahostkonflikt ausgetragen werden können, ohne dass der Gegenseite unterstellt wird, was diese gar nicht gesagt oder geschrieben hat. Und an denen Antisemitismus, Hassrede und Gewaltverherrlichung gleichwohl keinen Platz haben.