Die E-Sport-Branche boomt und bietet großes Potenzial
Die Vorurteile sind zahlreich. E-Sport sei kein Sport, heißt es oft. E-Sport, das sei nur rumdaddeln und faul auf der Couch rumsitzen – mit körperlicher Leistungsfähigkeit habe das nicht viel zu tun. Nun, letztlich kommt es wohl darauf an, wie man Sport definiert. Und dann wäre die Debatte ewig fortführbar. Was ist mit Schach? Darts? Motorsport?
„Ich lege null Wert darauf, dass E-Sport als Sport anerkannt wird“, sagt Christian Grollmann, der vor fünf Jahren mit ein paar Kollegen die „Nitro League“ in Deutschland aufgebaut hat. „Da unterscheiden sich die meisten Unternehmen vom Deutschen E-Sport-Verbund (ESBD).“ Seit Jahren sucht letzterer die Anerkennung vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und kann dabei zunehmend Erfolg verbuchen.
So fanden nach anfänglicher Ablehnung im Rahmen der diesjährigen Spiele in Tokio E-Sport-Veranstaltungen statt. Es wird darüber debattiert, E-Sport in den Reigen der olympischen Disziplinen aufzunehmen. Grundlage dafür sind verschiedene Aspekte. So zum Beispiel, dass bei der sportlichen Nutzung von Videospielen – wie in anderen Sportarten auch – feste Regeln gelten.
Wie sonst auch, findet ein unmittelbarer Wettkampf zwischen mehreren Spielern und Spielerinnen statt, sind zudem hohe motorische Fähigkeiten und taktisches Denken erfordert. An der Sporthochschule Köln wurde sogar festgestellt, dass E-Sportler bis zu 400 Bewegungen pro Minute an Tastatur und Maus schaffen. „Das ist vier Mal mehr als der Normalbürger“, hielt Ingo Froböse bereits in einer 2016 durchgeführten Studie fest.
Das richtige Coaching ist unabdingabr
Wobei diese körperliche Leistung mit einer erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen und einem Anstieg der Herzfrequenz einhergehe, die „fast einem Marathonlauf“ entspräche. Durchaus sportlich könnte man festhalten. Nicht nur deshalb wird zunehmend daran gearbeitet, den E-Sport auf einem besonderen Training aufzubauen. „Noch ist das sehr neu. Das ist Teil der Professionalisierung, die wir anstreben“, sagt Grollmann und führt an, dass bisher jedoch die nötigen Standards fehlen.
Um so wichtiger war es ihm, ein Coaching einzuführen, das zum einen als spielspezifische Anleitung dient, darüber hinaus allerdings gleichermaßen athletische Tipps gibt, auf richtige Ernährung hinweist und die mentale Stärkung in den Fokus stellt. „Da ist Verschiedenes gefragt. Zum einen wollen wir ja nicht, dass sich jemand 24/7 da verfängt. Aber es geht ebenso um Frustrationstoleranz und Teamgefüge sowie um ganz einfache Sachen wie die richtige Sitzhaltung“, sagt der ehemalige Handballer.
Er versucht, seine sportliche Erfahrung im E-Sport einfließen zu lassen. Denn auch beim am Rechner betriebenen Sport kann es zu Verletzungen kommen. Jeder, der viel Zeit hinter dem Bildschirm und an der Maus verbringt, kann wahrscheinlich ein Lied von Rückenproblemen und Sehnenscheidenentzündungen singen. Ebenfalls von der geistigen Belastung, die stetige Konzentration und Stress hervorrufen können.
„Im seltensten Fall kann sogar das Gefühl von Vereinsamung auftreten oder der Leistungsdruck seine Auswirkungen haben“, sagt Grollmann. Auch hier setzt das Coaching an, versucht durch Teambuilding und virtuelle Meetings entgegenzuwirken und die Strukturen auszubauen. Gespielt wird dabei „Rocket League“ – ein gewaltfreies Autoballspiel, bei dem zwei Dreier-Teams gegeneinander antreten.
Rocket League begeistert die Massen
Das heißt, zwei überdimensionale Autos treiben einen Ball voran und versuchen, ihn im gegnerischen Tor unterzukriegen. „Es ist der einzige E-Sport-Titel, bei dem jede Millimeterbewegung vom Spieler vollzogen wird“, sagt Grollmann. Dabei besteht die Schwierigkeit nicht nur darin, den Ball mit dem sich helikopterartig bewegenden Gefährt einzunetzen, sondern gleichermaßen Bewegung und Geschwindigkeit auf physikalischen Grundlagen richtig einzuschätzen, um den Schuss optimal zu steuern, während zusätzlich die Tankfüllung im Auge behalten werden muss – ebenso wie die Mitspieler.
Und das über fünf Minuten in einem Best-of Seven-Modus. „Das ist sehr actiongeladen und es passiert eigentlich immer etwas“, sagt Grollmann. Die Faszination schlägt auch hierzulande längst um sich: Live-Events der aus zwölf Teams bestehenden Liga sind rasend schnell ausverkauft, tausende Zuschauer verfolgen die Spiele via Twitch. Welches Potential im E-Sport steckt, kann in Asien beobachtet werden, dort ist er ein Massenphänomen.
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Mittlerweile steigt der Zuspruch in Deutschland ebenfalls, klinken sich immer mehr Vereine und Organisationen in die milliardenschwere Industrie ein. So zum Beispiel die Füchse Berlin. Seit diesem Jahr ist der Handball-Klub im E-Sport involviert, geht dabei aber einen eigenen Weg. Nicht nur, dass die Füchse besonders das Coaching unterstützen und dafür auch Gespräche der Teammitglieder mit Geschäftsstellenleiter Volker Zerbe und Co-Trainer Max Rinderle organisieren, der Fokus liegt – wie so oft – auf der Jugend und einer nachhaltigen Förderung.
„Sie geben etwas, was andere Vereine noch nicht so haben“, sagt Grollmann, der noch vor wenigen Jahren als Pressesprecher bei dem Handballklub aktiv war. „Die Szene merkt, dass da zwar ehrenamtlich, aber mit sehr viel Liebe und Hingabe gearbeitet wird.“ Bis zum zählbaren Erfolg wird es wahrscheinlich noch etwas Zeit beanspruchen. Was die Füchse jetzt schon erreicht haben, ist, ihr Publikum auszuweiten und dabei mit der Vereinsphilosophie mehr Menschen zu erreichen.
Hass im Netz ist auch beim E-Sport ein Thema
Und das in einer Bevölkerungssparte, die ihnen ohne den E-Sport vielleicht verschlossen geblieben wäre. Dabei überschneiden sich die von den Füchsen postulierten Ideale wie eine ganzheitliche Ausbildung und gesellschaftlicher Zusammenhalt mit dem, was Grollmann und die „Nitro League“ anstreben. Denn den Problemen, die anderweitig im Netz auftreten, gilt es auch beim E-Sport entgegenzutreten.
„Es gibt teilweise schon ein toxisches Verhalten, das sich gerade gegenüber Frauen äußert“, sagt Grollmann. Deswegen seien weibliche Profispielerinnen die Ausnahme. „Wenn Frauen besser sind, bieten sie mehr Angriffsfläche. Da versuchen wir natürlich gegen vorzugehen, die Kommunikation zu moderieren und für ein besseres Umfeld zu sorgen.“ Ein Vorteil bei der „Nitro League“ als mit Abstand größte Liga in Deutschland in diesem Bereich liegt darin, dass der Einfluss der Organisatoren umfassend ist.
So müssen die meist jungen Spieler nach einem Fehlverhalten beispielsweise für eine gewisse Zeit aussetzen. Eine Strafe, die pädagogisch nachwirken kann und soll. Und das ist ja Wesen des Sports: Fehler machen, daraus lernen und dadurch im besten Falle zu einem produktiveren Teil der Gesellschaft heranwachsen.