Satire darf alles. Muss sie alles?
Die Protagonisten von #allesdichtmachen sagen: Das war Satire. Die Teilnehmer vom Radkorso „Grunewald lahmer legen“ sagen: Das war Satire. Die Deutschen sind drauf und dran, das Dichter-und-Denker-Image abzustreifen und sich das Satire-Mäntelchen überzuwerfen.
Natürlich wird das mit Todernst betrieben, die satirische Aufarbeitung der Corona-Gegenmaßnahmen bleibt in Folge auf der Shitstorm-Ebene stecken, der Grunewald-Korso schmeckt nach Schweiß, Trinkflasche und Neid.
Nicht lustig, diese Bewertung? Eine bodenlose Unverschämtheit? Autor Huber soll sich sofort in Grund und Boden schämen. Tut er nicht, ich kenne ihn, der sagt frech: Das ist alles Satire. Und Satire, das hat Kurt Tucholsky einst dekretiert, Satire darf alles.
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Fängt da schon das Unglück an oder erst in der Überzeugung so vieler, sie könnten ganz locker Satire hinbekommen? Meistens war sie so nicht geplant, weswegen sie als Ausrede genutzt wird: Regt Euch nicht auf, das Gesagte oder das Getane war nur ein wenig ernst, vor allem aber komisch gemeint.
Ein Akt der Befreiung, eine Attacke auf die Lachmuskeln, vielleicht Kritik, ja übergriffige Kritik, aber alles auf der Humorschiene. Nun lacht doch mal, Ihr Miesepeter und Spielverderber!
Satire ist wie Pornographie, nicht aktionsgenau zu definieren, die Schweinigelei liegt tatsächlich im Auge des jeweiligen Betrachters. Pornographie benötigt den Porno-Gen, Satire das Satire-Gen. Zuweilen geht es auch durcheinander. So war das berühmt gewordene Erdogan-Gedicht von Jan Böhmermann eine pornographisch getunte Beleidigung, nicht jedoch eine satirisch überhöhte Vorführung dessen, was gesagt, respektive nicht gesagt werden darf.
Komik kennt keine Einigkeit
Im Tragischen mögen wir uns noch einig sein, was uns traurig stimmt, im Komischen laufen die Ansichten schnell ins bipolare Denken auseinander und bei der Frage, ob eine Satire gelungen ist oder nicht, geht es mit großer Entschlossenheit in den Meinungssumpf.
Wir sind in den Medien, aber nicht nur dort, mittendrin in einer satirischen Sintflut. Zu Dieter Nuhr, Lisa Eckhart oder Carolin Kebekus treten Schauspieler und Radler in den Wettbewerb ein. #allesdichtmachen = #allesschlichtmachen, die Speichen der Wahrheit sollen die böse kapitalistischen Grunewald-Bewohner bloßstellen.
Satire darf alles. Der Satz des großen Kurt Tucholsky wird zum Etikett, zum Freibrief genommen. Der Ha-ha-Effekt gilt als die Erlösung, nach der in diesen bedrängenden Pandemie-Tagen so dringend gesucht wird. Die Deutschen haben nach Bundestrainer und Virologen ein drittes Amt in Würden übernommen: Satiriker. Was bleibt mir Kleingeist übrig, wenn wieder eine Attacke aus ihrer Ecke droht? #allesdichtmachen. Das ist dann keine Satire, das ist Selbstschutz.