Der gute Schnitt
Es ist sicher nicht der beste Zeitpunkt, dieser Tage ein Buch mit Texten zu veröffentlichen, in denen es um das Reisen geht. „Fernweh für immer“ steht dann auch hinten auf Eckhart Nickels „Von unterwegs“. (Piper, München 2021. 286 S., 20 €.) Das wird einerseits der pandemischen Lage gerecht, die zwar das Reisen gerade verunmöglicht, aber das Fernweh nur noch stärker gemacht hat. Anderseits verweist der Slogan schön auf das Frühwerk des 1966 in Frankfurt geborenen Schriftstellers.
Mit Christian Kracht hatte er nicht nur im popliterarischen Quartett im Adlon zusammengesessen, sondern auch das Buch „Ferien für immer“ geschrieben, um darin die „angenehmsten Orte der Welt“ vorzustellen, vor allem Hotels, Bars und Cafés.
Anders als Kracht, der bei aller Weltumtriebigkeit dann das Schreiben von Romanen präferierte (und mit dem er vom nepalesischen Kathmandu aus, warum auch immer von dort, das Literaturmagazin „Der Freund“ herausgab), ist Nickel seiner Reisepassion schreibend treu geblieben, für die Reiseteile und Magazine überregionaler Zeitungen, aber auch in Buchform.
Nichts tun ist auch harte Arbeit
„Von unterwegs“ ist eine Sammlung von Texten, die Nickel in den vergangenen Jahren geschrieben hat. Der eine Text etwa über Porto, wo noch mit Escudos bezahlt wird, oder ein anderer über Kabul, wo die Amerikaner gerade die Taliban halbwegs erfolgreich vertrieben haben, dürfte gar von 2001 oder früher sein.
Das klingt jetzt nach schnöder Zweitverwertung. Tatsächlich aber ist „Von unterwegs“ ein ganz wunderbares Buch geworden, eine Mischung aus Reisenotizen, Autobiografie, Dandy-Fibel und literarisch-philosophischer Durchdringung des Reisens, unter besonderer Berücksichtigung bestimmter Aspekte wie Schönheit, Glück oder Komfort.
Allein was Nickel über die Iguazú-Wasserfälle an der Grenze von Brasilien und Argentinien schreibt, ist Programm: „Wer hier nicht anfängt, an die Verlässlichkeit des Zufalls zu glauben, aus der Schönheit entsteht, bleibt ästhetischer Atheist für immer.“
Oder darüber, was es mehr noch für den Geist als für den Körper bedeutet, endlich den Traumstrand gefunden zu haben und dort vollständig sich selbst überlassen zu sein: „harte Arbeit. Denn nie wird einem klarer, wie wenig man mit sich anfangen kann, wenn nichts zu tun übrig bleibt.“
Weshalb der Weg für jemand wie Nickel nicht zuletzt das ultimativste Ziel ist. Das Fliegen an sich erklärt er gern zum Höchsten, und das Sitzen im ICE-Bordbistro verdammt er nicht gleich aufs Übelste, der Enge, der dicken Luft, dem miesen Service und dem schlechten Essen zum Trotz. Zum Reisen gehört für ihn die richtige Kleidung und die richtige Tasche, gehören die richtigen Reiseschuhe und auch der ultimative Schutz für die Haut während eines Langstreckenflugs.
Er schreckt also auch nicht davor zurück, Produkte der New Yorker Kosmetikmarke Kiehl’s zu empfehlen, etwa den „Cactus Flower Tibetan Ginseng Hydrating Mist“, der „wertvollste Neuzugang in der Reiseminibar der Fläschchen.“
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Man merkt an solchen Verfeinerungen (und Überflüssigkeiten), woher Eckhart Nickel kommt: Sein einstiges „Tristesse-Royale“-Popschnöseltum hat sich gut gehalten und der Dandy in ihm ignoriert selbstredend sowas wie Klimawandel, Flugscham oder ökologische Fußabdrücke.
Deshalb gehört die Geschichte über den britischen Schuhmacher Nathan Clark und den globalen Siegeszug der Clarks-Schuhe von den sechziger Jahren an genauso in dieses Buch wie jene über den „Schneider von Bangkok“. Diese hebt an mit dem Satz: „Es wurde Winter, und ich fühlte mich nicht wohl“.
Und was verschafft dem Ich-Erzähler da Abhilfe? Ein neuer Anzug, nein, am besten mehrere („mein Leben selbst wollte neu angezogen werden“), und zwar nicht von einem Herrenausstatter aus Frankfurt oder München, sondern von einem Schneider aus Bangkok, dessen Visitenkarte zufällig zur Hand ist.
Also bucht er flugs einen Flug dorthin, zehn Tage, und im folgenden gibt es ein paar Impressionen aus der thailändischen Metropole, einen neuen Haarschnitt und die neuen Anzüge. Die nimmt Eckhart Nickel glücklich und dankbar und mit einem Satz von Thomas Bernhard entgegen: „Sie haben den guten Schnitt, passen mir.“
Triest ist ein idealer Ort zum Schreiben und zum Leben
Ob sich das alles so zugetragen hat? Und reicht es nicht manchmal oder ist es nicht sogar viel schöner, auf imaginäre Reisen zu gehen, in Büchern zu reisen oder die wunderbarsten, berühmtesten Buchhandlungen der Welt zu porträtieren? Nickel hat jedenfalls seine literarischen Helden oder Reiseschriftstellervorfahren alle mit im Gepäck, von Thomas Bernhard bis Thomas Mann, von Bruce Chatwin bis Somerset Maugham.
Und natürlich singt er immer wieder die hohen Lieder auf Cafés und Kaffeehäuser. So treibt er sich beispielsweise in Triest in den Lokalitäten herum, in denen James Joyce, Italo Svevo oder Claudio Magris gesessen und geschrieben haben (und Magris das noch heute tut), und so weiß er genau, was die Schriftsteller vieler Zeiten in Triest bis heute suchen und finden: „einen idealen Ort zum Schreiben und Leben, der den nötigen Abstand zur Welt hält und doch mitten in ihr existiert, das gleiche Verhältnis also, das ein Kaffeehaus zur umgebenden Stadt hat.“
Doch, man erfährt schon auch das eine oder andere über die Gegenden der Welt, die Nickel bevorzugt bereist hat, die USA, Portugal und Asien. Man merkt dann bisweilen, dass der Schriftsteller im Auftrag unterwegs gewesen ist, er gewisse Hotelideen feiern und historisch Wissenswertes unterbringen muss.
Doch der stilistisch-formale Textzugriff überwiegt, die mitunter komische Selbstdarstellung. Und bei aller Kultiviertheit, bei allen ästhetischen Prämissen: Nickel ist ein stets demütiger Reisender, ein Old-School-Reisender, der um sein Privileg weiß und der Maxime huldigt: „Nichts erwarten und auf alles gefasst sein.“.
Am Ende ist „Von unterwegs“ vielleicht das beste Reisebuch zur Pandemie-Zeit. Nickel sorgt für Fernweh und literarischen Genuss, und damit kann man es getrost noch eine Zeit zuhause aushalten.