So erzählt das Humboldt Forum die Geschichte Berlins
Berlin ist mehr als eine Stadt. Berlin ist die Welt. Jedenfalls im Kleinen. So lautet die Kernthese der Berlin-Ausstellung im Humboldt-Forum. Sie trägt den Titel „Berlin Global“ und zeigt die Metropole als Teil eines vernetzten Planeten. „Es geht ums Weltdenken“, sagte Chefkurator Paul Spies, als am Donnerstag die Ausstellung mit einem Presserundgang vorgestellt wurde. Berlin ist ein Ort, der Menschen aus aller Welt anzieht, und Berlin hat immer wieder Einfluss genommen auf den Rest der Welt, im guten und oft auch im schlechten Sinne.
Mit einer traditionellen stadthistorischen Präsentation hat die Ausstellung, die sich über 4000 Quadratmeter im ersten Obergeschoss des wiederaufgebauten Hohenzollern-Schlosses zieht, nicht mehr viel Ähnlichkeit. Es gibt zwar Vitrinen mit mehr oder weniger eindrucksvollen Exponaten, aber hauptsächlich wird die Stadtgeschichte entlang von Medienstationen, Filmprojektionen und Installationen erzählt.
Spies, Direktor des bei dem Projekt federführenden Stadtmuseums, spricht von einem „Experiment“. Partizipation und Interaktivität sind die wichtigsten Stichworte des Konzepts, das auf modernste Museumstechnologie setzt.
Im Eingangssaal aktivieren die Besucher:innen unter einer gigantischen Erdkugel an Bildschirmen ihre Chip-Armbänder, die sie durch die acht Themenräume begleiten. Die Informationen, die von den Chips gesammelt werden, können am Ende als persönliches Fazit ausgedruckt werden. Eine Spielerei, die ein wenig plakativ wirkt.
Denn zwischen den Räumen gibt es jeweils zwei Durchgänge, über denen Statements formuliert sind. Dort steht dann „Ich will eine offene Stadt“ oder „Ich will eine soziale Stadt“, „Waffen schützen“ oder „Ich bin für Abrüstung“ und zwingen zu Entweder-oder-Entscheidungen. Sonderlich tiefschürfend sind die Erkenntnisse nicht, die dabei gewonnen werden.
Die Namenspatrone Alexander und Wilhelm von Humboldt haben ihren Auftritt in Form von Grisaille-Porträts auf den Wandbildern des Auftaktsaals, in denen comicartig mit Kolonialismus, Krieg und Geschlechterkämpfen einige zentrale Aspekte der Schau angespielt werden. Auch die Benin-Bronzen tauchen auf dem Fries auf, Raubkunst, um die eine heftige Debatte entbrannt ist. Sie gehörten zu den Hauptattraktionen des Ethnologischen Museums, das seinen neuen Platz einen Stock über „Berlin Global“ gefunden hat. Nun sollen sie wohl an Nigeria zurückgegeben werden.
Geschaffen wurde das Wandbild, das den Raum an allen vier Seiten von oben bis unten bedeckt, vom Künstlerduo How und Nosm. Bekannt geworden sind die Brüder mit Murals, die sie auf Brandwände und Mauern in der ganzen Welt gesprayt und gemalt haben.
Berlin, das ist natürlich auch eine Stadt der Klischees. Vor allem natürlich für Tourist:innen, die künftig wohl den Großteil der Besucher:innen ausmachen werden. Fernsehturm, Mauerfall, Zweiter Weltkrieg und Party – diese vermeintlich typischen Motive sind im ersten Raum wie Spanische Wände aufgestellt. Man entkommt ihnen nicht.
Ursprünglich war es das Ziel des Kuratorenteams, einen Schnelldurchgang durch die Stadtgeschichte zu schaffen, der sich in 45 Minuten absolvieren lässt. Das hat nicht geklappt, man muss schon etwas mehr Zeit mitbringen, zumal sich die Themen jedes Raums in Nebenkabinetten weiter vertiefen lassen.
Simple Didaktik
Revolution, Freiraum, Grenzen, Vergnügen, Krieg, Mode und Verflechtung, das sind die Aspekte, auf die sich „Berlin Global“ konzentriert. Der Palast der Republik, der abgerissene Vorgängerbau des Humboldt-Forums, kommt in einem der Kabinette vor. Einige Originallampen hängen dort sowie das Gemälde „Weltjugendlied“, auf dem junge Menschen in einem Meer von Roten Fahnen schwimmen. Das Thema wird schnell abgehakt, überhaupt fällt der Ausstellung zur DDR nicht viel ein.
[„Berlin Global“ wird am 20. Juli eröffnet. An den ersten hundert Tagen, bis zum 12. November, wird der Eintritt kostenlos sein, danach beträgt der reguläre Eintrittspreis 7 Euro. Ticketbuchungen ab 13. Juli unter humboldtforum.org]
In der Revolutionsabteilung sind die Mütze eines Matrosen von 1918, das Zigarettenetui von Karl Liebknecht und eine Schärpe zu sehen, die bei der Großdemonstration vom 9. November 1989 getragen wurde: „Keine Gewalt“. Höhepunkt ist ein tischgroßes interaktives „Rad der Geschichte“, das erst dann Bilder auf elliptische Wände zu werfen beginnt, wenn mindestens vier Besucher:innen gleichzeitig an ihm drehen. So soll für einen kurzen Moment ein Gefühl von Gemeinschaft und Solidarität entstehen. So simpel kann Didaktik sein.
An anderer Stelle gelingen elegantere Aha-Erlebnisse, etwa wenn man durch die verrostete Stahltür des Technoclubs Tresor treten darf. Ganz ohne Türsteher. Ursprünglich gehörte der Tresor zum legendären Kaufhaus Wertheim am Leipziger Platz, das in der Zeit des Nationalsozialismus „arisiert“ worden war, den Krieg beschädigt überstand und 1956 abgerissen wurde.
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Im Raum, der Krieg und Holocaust gewidmet ist, sind Fotos von der Berliner Jüdin Cora Berliner zu sehen, einer der ersten deutschen Professorinnen für Wirtschaftswissenschaften. In ihrem Abschiedsbrief vom 21. Juni 1942 bezeichnet sie ihre bevorstehende Deportation als „Reise“, ein Euphemismus mit Rücksicht auf die Postzensur.
Wenige Tage später wurde sie mit Hunderten anderer Juden in einem Wald bei Minsk ermordet. Daneben liegen Fundstücke, die bei Bauarbeiten am Tatort geborgen wurden. Zerbrochene Brillen, ein verrosteter Topf, Patronenhülsen. An die Frau, die ihre Stadt im Namen trug, zu erinnern, ist ein Verdienst von „Berlin Global“.