Zauber der Stille: Fotografien des Japaners Koichiro Kurita
Was, wenn Henry David Thoreau Fotograf gewesen wäre?“ Antworten auf diese Frage kann man derzeit in den fotografischen Landschafts- und Naturbeobachtungen des Japaners Koichiro Kurita finden, dem die Galerie Johanna Breede zum 80. Geburtstag die erste Einzelausstellung in Deutschland ausrichtet. Seine monochromatischen Platinum-Palladium Abzüge sind von so elementarer Wirkung, wie sie der amerikanische Philosoph, Schriftsteller und Aussteiger Thoreau in der Natur gesucht haben mag, als er sich 1845 zwei Jahre lang in eine Holzhütte am Walden Pond bei Concord, Massachusetts zurückzog.
Der Werbefotograf gab alles auf und ging in die Natur
Thoreaus Suche nach einem Leben im Einklang mit der Natur mündete 1854 in seiner berühmten Niederschrift „Walden“, die zu einem der einflussreichsten Bücher der amerikanischen Literaturgeschichte und „Klassiker aller Alternativen“ geworden ist. Für den 40-jährigen Kurita gab es Mitte der 1980er Jahre den Anstoß, seine erfolgreiche Karriere als Werbefotograf aufzugeben, um sich in die Yatugatake Berge hundert Meilen nordwestlich von Tokio zurückzuziehen. Mit einem Stipendium des Asian Cultural Council konnte er dann auf den Spuren Thoreaus nach Nordamerika sowie Kanada und England reisen, wo er für seine Naturbeobachtungen die fotografischen Edeldruckverfahren des 19. Jahrhunderts nutzte.
So elementar wie die Elemente Chi, Sui und Ki – Erde, Wasser, Luft – sind Kuritas Handabzüge, die im reinen Kontaktverfahren auf handgeschöpftem Gampi-Papier entstehen. Die unregelmäßige schwarze Konturlinie stammt von der lichtempfindlichen Lösung, die vorab mit dem Pinsel auf dem zarten Papier aufgetragen wird.
Um das trockene Schilf bilden sich zarte Tropfen aus Eis
Feinste Tonwertabstufungen von tiefem Schwarz über nuancierte Mitteltöne bis hin zu haarfeinen Lineaturen machen die außerordentliche Druckqualität aus, die von der anmutigen Haptik des Papiers getragen wird. In der unübertroffenen Haltbarkeit und Wertigkeit des analogen Druckverfahrens vermittelt sich eine Haltung, die einem ehrfürchtigen Staunen vor der Schönheit der Natur gleichkommt. Eine geschlossene Schneedecke bricht auf und bildet einen geschlängelten Riss wie ein „Unvorhersehbarer Fluss“ (2011), der das abgestorbene Gras sichtbar werden lässt. Um die trockenen Schilfhalme auf der leicht gekräuselten Wasseroberfläche haben sich zarte Tropfen aus Eis gebildet, die wie „Lollipops“ (2008) aus mundgeblasenem Glas erscheinen.
Die „Floating Leaves“ (1998) der Wasserlilien auf der dunklen Wasseroberfläche eines Sees in Minnesota wirken so plastisch wie eine Collage. Und der Miniatur-Wasserfall „Fall“ (1991), der sich an einem zarten Ast unterhalb der Schneekante gebildet hat, erscheint wie ein surrealistisches Bild von Yves Tanguy. Es sind „Species and Individuals“ (2011) zugleich, die sich auf dem vierteiligen Panoramafoto zu einem Wasserballett aus Abertausenden von Blättern, Halmen und Tropfen formieren.
In den mehrteiligen Abzügen aus unterschiedlichen Perspektiven sowie den zahlreichen Wasserspiegelungen, die das Auge täuschen und herausfordern, mag man das frühe Interesse Kuritas an der Wahrnehmungspsychologie erkennen, die er an der Kanseigakuin-Universtät in Kobe studierte. Seit 1993 unterhält er Studios in New York, Massachusetts und Fukusumi, wo er auch Workshops in den Edeldruckverfahren unterrichtet, die auf sein anderes Idol, den britischen Fotopionier und Universalgelehrten Henry Fox Talbot zurückgehen.
Mensch und Natur in neuer Beziehung
Dessen grundlegendes Werk über die Fotografie „Bleistift der Natur“ erschien im Jahr 1844, ein Jahr bevor Thoreau an den Walden Pond auf das Grundstück seines Freundes, des Schriftstellers Ralph Waldo Emerson zog.
Kurita führt beides in seiner eigenen Synthese unter dem Titel „Beyond Spheres“ zusammen, wenn er schreibt: „Ich habe zwei Mentoren. Der eine ist Henry David Thoreau, der dazu drängte, die Beziehung zwischen Natur und Mensch neu zu erleben. Der andere ist Henry Fox Talbot, der lehrte, was Photographie ist. ‚Beyond Spheres’ ist ein Projekt, das am Ende eine Dankesrede an meine beiden Mentoren sein wird, denen ich nie begegnet bin.“
Geradezu dankbar und wohltuend erlebt man den Zauber der Stille von Koichiro Kuritas Fotografien, die in dem gedämpften Licht der Galerie zwischen jahrmillionenalten Dendrolithen hängen, versteinerten Holzstämmen, wie man sie in japanischen Zen-Gärten findet. Wer in diesen aufgewühlten Zeiten einen Ort des Innehaltens sucht, dem sei ein Besuch der Galerie von Johanna Breede sehr empfohlen.