Zurückgekämpft aufs Podium: Daniel Barenboim dirigiert die Berliner Philharmoniker

Da scheint es vor Konzertbeginn ein Missverständnis gegeben zu haben: Auf dem erhöhten Podest in der Philharmonie steht ein Stuhl bereit. Doch Daniel Barenboim lässt ihn, nachdem er die Treppen erklommen hat, gleich entfernen. Er steht lieber. Nach einer Erkrankung hat er sich zurückgekämpft, zumindest aufs Podium als Dirigent, wenn auch noch nicht an den Konzertflügel.

Reduzierte Bewegungen

Ein großer Gestiker war Barenboim nie, jetzt allerdings hat er seine Bewegungen noch weiter reduziert, lässt die Arme die meiste Zeit hängen, dirigiert passagenweise gar nicht. Doch die Berliner Philharmoniker mit Konzertmeister Noah Bendix-Balgley am Steuer wären nicht das Profiorchester, das sie sind, wenn sie nicht die wenigen Impulse, die dann doch kommen, auffangen und selbständig ausbauen könnten.

Gabriel Faurés Schauspielmusik zu Maurice Maeterlincks Drama „Pelléas et Mélisande“, noch vor der Oper von Claude Debussy entstanden, klingt jedenfalls alles andere als uninspiriert, durchzogen von flirrenden Unterströmungen, mit einem schön gestalteten dynamischen Bogen als Höhepunkt im vierten, letzten Satz. 

Frankreich ist das Thema, beziehungsweise die von inniger gegenseitiger Hassliebe geprägte Beziehung zwischen Richard Wagner und dem Nachbarland, siehe die legendäre „Tannhäuser“-Pleite 1861 in Paris wegen eines an falscher Stelle platzierten Balletts. Drei Jahre zuvor hatte er die Lieder auf Texte seiner Muse, der als Lyrikerin unterschätzten Mathilde Wesendonck, komponiert. Elina Garanca singt sie mit herrlich fülligem, bronzenen Mezzo.

Wagners Chromatik-Zauber, der dann im „Tristan“ zu voller Blüte gelangt, hat auch auf César Franck Eindruck gemacht, was man dessen später und einziger Symphonie in d-Moll anhört. Ein singuläres Werk, denn in bester Beethoven-Manier wird die Form hier zum Inhalt, was in der französischen Musik des 19. Jahrhunderts nicht oft vorkommt. Zyklisch kehren die durch die Tonarten modulierten Themen wieder, sollte sich da sogar eine Nietzsche-Lektüre eingeschlichen haben? Die Philharmoniker glänzen mit messerscharfen Streichern und kernigen Bläsern, die Kommunikation mit Daniel Barenboim läuft ganz offenbar über andere Kanäle als über Gestik. Zum Applaus, als sich der ganze Saal erhebt, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. (uba)