Den deutschen Skilangläuferinnen gelingt bei Olympia eine Sensation

Neun Goldmedaillen hatte die deutsche Mannschaft bei Olympia bis zum Mittwochvormittag geholt – dann kamen Katharina Hennig und Victoria Carl. Die beiden deutschen Skilangläuferinnen gewannen sensationell den Teamsprint und landeten damit vielleicht den Sieg für Team Deutschland bei diesen oft so tristen Pekinger Spielen. „Ich bin voller Adrenalin. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich laufe herum wie Falschgeld“, sagte Schlussläuferin Carl nach ihren fantastischen letzten Metern, auf denen sie mal eben die schwedische Einzel-Olympiasiegerin Jonna Sundling abgehängt hatte. Sie fühle sich wie im falschen Film, sagte Hennig. Und: „Wir können es noch gar nicht richtig fassen, was wir gemacht haben.“

Letztmals hat Deutschland 2010 eine Goldmedaille im Langlauf bei Olympia gewonnen, auch damals im Teamsprint der Frauen durch Evi Sachenbacher-Stehle und Claudia Nystad – allerdings in der freien und nicht wie diesmal in der klassischen Technik. Und unter anderem Umständen, denn Victoria Carl war zunächst gar nicht für einen Einsatz vorgesehen, sie rückte nur an die Seite von Hennig, weil sich Katherine Sauerbrey nicht ganz fit fühlte. Es ist eine geradezu märchenhafte Geschichte, wie die vom ungeliebten Kind, dass plötzlich strahlt und andere verzückt.

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Denn der Skilanglauf hat in Deutschland traditionell einen schweren Stand. Ganze vier deutsche Olympiasiege hatte es bis zum Mittwoch in 98 Jahren gegeben, zwei davon gehen auf das Konto von Barbara Petzold, die 1980 das bis heute auch einzige Einzelgold gewinnen konnte. Zum Vergleich: Nur im Eiskanal von Yanqing holten deutsche Sportler bei diesen Spielen sieben Mal Platz eins. Wer sich hierzulande mit dem Schlitten durchsetzt, ist automatisch Favorit auf Medaillen bei großen Meisterschaften.

Viele zieht es zum Biathlon

Ganz anders ist die Situation im Langlauf. Das Reservoir an Talenten ist gering, viele Sportler mit Potenzial zieht es alsbald zum Biathlon, das in Deutschland eine viele größere Wertschätzung genießt und wo sich auch deutlich mehr Geld verdienen lässt. Dazu kommt die schier übermächtige Konkurrenz aus Skandinavien und Russland, wo es ganz andere Möglichkeiten gibt als für deutsche Athleten. Um so höher ist dieser Triumph von Hennig und Carl zu bewerten.

Die deutschen Langläuferinnen bejubelten die erste Goldmedaille bei Olympia seit 2010.Foto: imago images/Xinhua

Dabei hatte sich schon angedeutet, dass die Form der deutschen Frauen bei diesen Spielen passt. Schon in der Langlauf-Staffel gab es Silber und die 25 Jahre Katharina Hennig hatte in dieser Saison bereits im Weltcup gezeigt, dass sie mit der Weltspitze mithalten kann. Doch bei den Großereignissen auf den Punkt in Form zu sein, ist noch einmal eine andere Nummer. Zumal die 26 Jahre alte Victoria Carl die große Unbekannte war.

Das dürfte sich nun ändern und vielleicht gibt dieser Erfolg dem gebeutelten Langlauf endlich wieder Auftrieb. Kaum eine Sportart ist ästhetischer, taugt mehr zum winterlichen Volkssport – so wie er in Skandinavien ganz normal betrieben wird. Natürlich, da sind die für Ausdauersportarten typischen Dopingskandale. Auch Deutschland hat mit Johann Mühlegg daran indirekt seinen Anteil, obwohl Mühlegg 2002 für Spanien startete und seinerzeit in Salt Lake City seine drei gewonnenen Goldmedaillen ganz schnell wieder los wurde.

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Bei jenen Winterspielen schaffte Peter Schlickenrieder mit Silber im Klassik-Sprint einen der größten Olympiaerfolge für deutsche Langläufer, jetzt ist er selbst Bundestrainer. Am Mittwoch wurde er passenderweise auch noch 52 Jahre alt: „Das war ein Geburtstagsgeschenk der Extraklasse, was die Mädels sich da überlegt haben“, sagte er hinterher und war der Auflösung nahe. Es ist auch sein Verdienst, dass der Langlauf in Deutschland noch nicht gänzlich in der Bedeutungslosigkeit versunken ist und nur auf den einen, legendären Satz des ZDF-Reporters Bruno Moravetz reduziert wird. Wo Behle ist, wollte am Mittwoch jedenfalls niemand von Peter Schlickenrieder wissen.