Papst fordert zum Lesen auf: Literatur stärkt das Einfühlungsvermögen
Urlaubszeit ist Lesezeit – das empfindet offenbar auch der Papst so. Aus seiner Sommerpause meldet er sich mit einer zehnseitigen Liebeserklärung an das gedruckte Wort. Im Gegensatz zu allgegenwärtigen Medien und sozialen Netzwerken sei ein gutes Buch eine Oase, erweitere Vorstellungskraft wie Horizont seines Lesers, heißt es in dem am Sonntag veröffentlichten Brief. Ursprünglich habe Franziskus den auf den 17. Juli datierten Beitrag in Bezug auf die Priesterausbildung schreiben wollen. Doch sehe er seine Überlegung als allgemeingültig für alle Christen an.
In seinem 44 Punkte umfassenden Brief prangert Franziskus den Mangel an Beschäftigung mit Literatur auch konkret in Priesterseminaren an. Dies sei die Ursache für eine ernsthafte intellektuelle und spirituelle Verarmung der künftigen Priester, die so eines privilegierten Zugangs zum Herzen der menschlichen Kultur und insbesondere zum Herzen des Menschen durch die Literatur beraubt würden.
Der 87-Jährige fordert einen radikalen Kurswechsel, die Abkehr von der „Besessenheit von Bildschirmen“ sowie von „giftigen, oberflächlichen und gewalttätigen Fake News“. Literatur hingegen bereite mit ihrem Eintauchen in fremde Geschichten und Charaktere auf verschiedene Lebenssituationen vor und helfe bei Verständnis und Bewältigung.
Wider die Bildschirm-Besessenheit
Zudem stärke sie das Einfühlungsvermögen für andere – besonders wichtig für künftige Seelsorger. Die Lektüre eines literarischen Textes versetze in die Lage, durch die Augen anderer zu sehen, und einen Blickwinkel zu erlangen, der die eigene Menschlichkeit weite, so Franziskus.
Im kirchlichen Alltag helfe ebenfalls ein Buch, um nicht in Effizienzdenken zu verfallen, sich vom Unmittelbaren zu distanzieren, zu verlangsamen, zu betrachten und zuzuhören. Das Genre des Buches sei dabei erst einmal unwichtig. In seiner eigenen Zeit als Lehrer in Argentinien habe er gelernt, dass ein erster Zugang zur Populärliteratur später zu anspruchsvolleren Werken führe. Denn letztlich, so der Papst, suche das Herz nach mehr.
Literatur helfe dem Leser, „die Götzen der selbstbezogenen, fälschlich selbstgenügsamen, statisch konventionellen Sprachen zu zerstören, die manchmal sogar unseren kirchlichen Diskurs zu verunreinigen drohen und die Freiheit des Wortes einsperren“. Das literarische Wort öffne die Sprache für eigene weitere Ausdrucks- und Erkundungsmöglichkeiten und mache sie aufnahmefähig für das Wort Gottes.
Am Priester liege es dann, dieses zu vermitteln – vorher durch eigenes Literaturstudium dazu befähigt. „Wir können nicht anders, als auf die Worte zu hören, die uns der Dichter Paul Celan hinterlassen hat: ‘Wer wirklich sehen lernt, nähert sich dem Unsichtbaren’“, so der Papst abschließend. (KNA)