Klassik auf Schloss Neuhardenberg: Cellissimo!

Die Jungen müssen an die frische Luft! Regelmäßig schickt Jan Vogler seine Schülerinnen und Schüler vor die Tür, damit sie durch den traumschönen, südenglisch anmutenden Park von Schloss Neuhardenberg streifen können. Denn wer immer nur im stillen Kämmerlein hockt, über sein Instrument gebeugt, der kann nicht zur kompletten Künstlerpersönlichkeit heranreifen, davon ist der international gefeierte Cellist überzeugt. 

Die Augen zu öffnen ist genauso wichtig wie die Ohren: Natur erfahren, Bücher lesen, durch Museen streifen, das alles gehört für einen Musiker dazu, findet Vogler. Und er versucht dieses Credo weiterzugeben an die nächste Generation von hochbegabten Instrumentalistinnen und Instrumentalisten. Die alle mit dem Smartphone in der einen Hand aufgewachsen sind – und dem Cellobogen in der anderen.

Seit zehn Jahren schon veranstaltet Vogler jedes Jahr im Hochsommer einen Workshop in der Idylle von Neuhardenberg. Sechs Tage intensive Proben, unterbrochen von Spaziergängen, die dann in einem Abschlusskonzert in der Schinkelkirche kulminieren. Das „Meisterschüler-Meister“-Format erfreut sich großer Beliebtheit, die Plätze in den harten Bänken sind auch diesmal wieder ausverkauft.

Jan Vogler, Hayoung Choi und die Meisterschüler:innen in der Schinkelkirche von Schloss Neuhardenberg.

© Stefanie Hanssen

Bevor sich Jan Vogler und seine Assistentin Hayoung Choi zum Finale mit ihren Schützlingen zusammentun, um Astor Piazzollas „Vier Jahreszeiten von Buenos Aires“ aufzuführen – in einer vor Leidenschaft glühenden Interpretation, bei der die acht Celli wie ein Tangoorchester klingen, also wie Bandoneon, knarrendes Guiro, Kontrabass und viel Percussion – dürfen sich die sechs Nachwuchsprofis vorstellen.

Dabei erlebt das begeisterte Publikum dann ein halbes Dutzend Möglichkeiten, wie Mensch und Cello zueinander finden können. Daniel Dorn nutzt den Vorteil, den Streicher gegenüber Sängern haben: nicht zwischendurch Luft holen zu müssen. Wie auf einem einzigen Atem spielt er das Präludium aus Bachs 2. Cellosuite, sanftmütig, geschmeidig, introvertiert.

Auch Henriette-Luise Knauer interpretiert Bach, aber kantiger, rhetorischer; ihr Spiel hat Charakter. Petar Pejcic, der dritte im Bach-Bunde, entwickelt die Courante der 6. Suite ganz aus dem rhythmischen Impuls heraus, als virtuosen Tanz, wie man ihn so flink nur in den Fingern haben kann, nicht in den Füßen.

Expressiv will der Kopfsatz aus Zoltan Kodalys Solosonate gespielt werden – Hannah Caroline Rau attackiert ihn angemessen extrovertiert, ohne aber dabei auf einen edlen Klang zu verzichten zu müssen. Die ausgereifteste Persönlichkeit präsentiert an diesem Abend Mon-Puo Lee, der ebenso selbstsicher ist in der charaktervollen Gestaltung des Finales von Gaspar Cassadós Cellosuite wie bei der Wahl seiner extravaganten Konzertgarderobe. Als feinfühlige Interpretin schließlich führt sich Anna Herrmann ein, wenn sie Udo Zimmermanns „movimenti caratteristici“ bei aller Modernität ganz aus der melodischen Linie heraus zu entwickeln weiß.