Die Träume der Schmetterlinge

Die junge Stimme hallt lange nach. „Könnt Ihr uns hören? Könnt Ihr uns hören?“ Eine leise gestellte Frage, während junge Myanmarer auf einem Trampelpfad in den Dschungel ihrer Heimat ziehen.

Junge Frauen und Männer in Schlappen und kurzen Hosen, ihre Ausrüstung tragen sie in Plastikeimern und zusammengebundenen Tüchern. Sie wollen ihren Traum verteidigen. Den Traum von einem Leben in Freiheit und Demokratie.

„Myanmar Diaries“ erzählt die Geschichte eines an Bodenschätzen reichen Landes und einer bescheiden lebenden Jugend, die so gerne frei wäre und ihre Gedanken fliegen lassen würde – wie ein Schmetterling. Ein kleines Tier, das immer ums Überleben kämpfen muss. Aber auch: Die hässliche Raupe Myanmar könnte sich verwandeln in einen wunderschönen Schmetterling. Raus aus der täglichen Pein, die seit dem Putsch ihr Alltag ist.

„Don’t give up“: Die Hoffnung zieht sich durch die Dokumentation, die zehn junge birmanische Filmemacher gedreht haben. Sie nennen sich Myanmar Film Collective, hatten Unterstützung aus den Niederlanden und Norwegen. Ihre Namen erfährt das Publikum nicht, sie müssen anonym bleiben, um sich nicht noch mehr zu gefährden.

Und doch sind wir den Protagonisten nah, sehr nah, auch wenn man selten ein Gesicht zu sehen bekommt. Zwei Paar Füße, Hände, ein blutiges T-Shirt, eine Mülltüte über dem Kopf – ihr Anblick bleibt der Vorstellungskraft überlassen.

Und doch führen die fragmentierten Bilder mitten in ihr Leben hinein, in ihr Zuhause, ihre Sehnsucht, ihre Bedrohung, ihren Schmerz. Einfaches Mittel, extreme Wirkung. Wären sie und die Zufluchtsräume erkennbar, es wäre das Aus für die Träume und womöglich für das Leben derer, die den Schergen des Regimes unter Diktator Min Aung Hlaing noch nicht zum Opfer gefallen sind. Einige Protagonisten der filmischen Tagebücher leben inzwischen nicht mehr.

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Jeden Tag werden es mehr, Opfer des Militärs. Auch ein Jahr nach dem Coup der Generäle, jenem Tag, an dem Wahlsiegerin Aung San Suu Kyi und ihre Regierung die Geschäfte aufnehmen sollten. Die lange international gefeierte Friedensnobelpreisträgerin wird zwar auf von Demonstranten auf Plakaten wie ein Schutzschild hochgehalten. Aber oft ist sie nur stille Zuschauerin.

Die Sicht der Betroffenen

Wie sehen ihr herangezoomtes Porträt in der kargen Wohnung eines Mannes, der um seine erschossene Liebe trauert. Tot, weil sie ein rotes Shirt trug. Die Farbe der Opposition. Suu Kuiys hängt an der Wand wie ein großes Fragezeichen: Hat die Staatsrätin, die nach der Verfassung nicht Präsidentin werden darf, nicht schon vor dem Putsch dem Treiben der Generäle zugeschaut, sie sogar verteidigt, als sie die Rohingya vertrieben?

Der Mann trauert, wie auch andere in diesen Tagebüchern des Widerstands gegen die Junta, von der viele junge Myanmarer gehofft hatten, sie sei Geschichte. Obwohl das Militär auch in der so genannten gelenkten Demokratie stets das Sagen hatte. Doch am 1. Februar 2021 kamen die Generäle zurück. Sie wollen bleiben.

Der Film lässt das Jahr des (inneren wie äußeren) Kampfs aus der Sicht der Betroffenen Revue passieren. Zarte Hoffnungen enden jäh; wie mit scharfen Messern ist die brutale Realität in diesen Dokumentarfilm geschnitten. Poetisch-symbolische Szenen wechseln mit Videoaufnahmen, in denen Polizisten, Soldaten und als Demonstranten verkleidete Geheimdienstler in Truppstärke auflaufen, Protestierende niederknüppeln, erschießen, auf sie eintrampeln, Familien auseinanderreißen.

[13.2., 13 Uhr (Zoo Palast 1), 14.2., 15 Uhr (Zoo Palast 2), 17.2., 17.30 Uhr, (Cinemaxx 4) 20.2., 14 Uhr (Cinemaxx 3)]

Da ist die Zerrissenheit eines jungen Vaters, der von einem „Sir“ zur Arbeit bestellt wird – nur die Wenigsten hatten nach dem Putsch noch ein Einkommen. Und da ist die 67-Jährige, die sich in Jeans und Turnschuhen mit ausgebreiteten Armen den Bewaffneten entgegenstellt. Minutenlang redet sie auf die jungen Uniformierten ein, mit weithin hörbarer Stimme. „Wir haben euch geliebt wie unsere Kinder. Ihr seid doch gut ausgebildet, jetzt ist eure Bildung nutzlos.“

Nun ziehen andere Kinder in den Dschungel, trainieren wie US-Marines, giggeln wie aufgekratzte Jugendliche im Feriencamp. Erschütternd ruhig rüsten sie sich für einen Krieg gegen eine Armee, die seit Jahrzehnten das eigene Volk bekämpft. Wir sollten sie hören.