Wenn die Zweifel heftig zerren
Lebenswege sind nur im Rückblick gerade und folgerichtig. Für Liebeswege dürfte das Gleiche gelten. Der spanische Autor Isaac Rosa erzählt eine wunderbare, romantische, absolut normale Liebesgeschichte im Rückblick, vom Ende zum Anfang – um sie folgerichtig scheitern zu lassen.
Weil Liebe oft scheitert? Oder in der Gleichgültigkeit einer Erwerbs- und Zugewinngemeinschaft verendet? Weil Liebesgeschichten entweder schlecht ausgehen oder sich auflösen? Weil Anfänge immer großartig sind und nichts über das Ende sagen?
„Glückliches Ende“ ist ein traurig stimmender Roman. Man sollte ihn nicht lesen, wenn man in einer Liebesgeschichte steckt, an der die Zweifel heftig zerren. Denn Rosa erzählt eine Liebesgeschichte, die zu einem guten Ende hätte führen können – und scheitert.
Isaac Rosa ist ein spanischer Realist. Das Paar, das er porträtiert, könnte man bei einer Party, bei einem Abendessen mit Freunden kennenlernen, in Madrid, in Berlin, wo auch immer. Zu den Rahmenbedingungen des Kennenlernens würden prekäre Verhältnisse gehören. Zu wenig Geld. Zu wenig Zeit. Die Wohnung runtergewohnt. Anspruchsvolle Kinder, die an den Kräften der Eltern zehren.
Sanfte, schön schwingende Passagen
Mütterlichkeit als das totale Glück bei totaler Forderung. Der Vater der Kinder – er hat das schlicht zu akzeptieren. Und sonst? Stets schwierigere Arbeitsbedingungen zermürben Antonio, das Familienoberhaupt, das längst als solches nicht mehr akzeptiert wird. Er fühlt den Dauerdruck und entwickelt sich zum journalistischen Stricher, der Texte auf Klickzahlen und Internet-Erfolg anlegt. Was nicht gut gehen kann.
Okay, für Antonio und Angela war es von Beginn an nicht leicht. Er war schon Vater, liiert – dann aber voller Liebe für Angela. Und sie? Verzaubert. Verführt. Hingerissen. Glücklich, mit ihm zu leben, ihn zu lieben.
Isaac Rosa findet die passenden Formulierungen. Das sind die sanften, schön schwingenden Passagen des Romans. Als die beiden sich an einem spanischen Strand lieben wollen, werden sie von Polizisten gestört. „Doch sie kamen nicht wegen uns: Die beiden Polizisten stiegen aus und sahen uns nicht einmal an, ihr Blick mit solcher Beharrlichkeit aufs Meer gerichtet, dass wir uns ebenfalls dorthin umwandten, und da sahen wir das Boot. Ein Schlauchboot, der Motor ausgeschaltet. Es ließ sich ans Ufer treiben, schaukelte bei jeder Welle. An Bord circa dreißig schwarze, sich aneinanderklammernde Menschen.“
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Europa heute: zwei prekär lebende, junge Spanier, die Polizei, ein Boot voller Flüchtlinge. Isaac Rosa, Jahrgang 1974, schreibt persönliche Romane mit zeithistorischem Hintergrund. Aus jeder Zeile des „Glücklichen Endes“ sprechen nicht allein die Erfahrungen eines unglücklich Liebenden. Man liest daraus die intellektuellen Interessen eines Autors, der mit der Liebe hadert – und versucht hat, lesend klüger zu werden. Die Danksagung nennt Schriftsteller, deren Ideen Rosa angeregt haben: Roland Barthes, Alain de Botton, Erich Fromm, Eva Illouz – die Soziologin, die die Ideologie der romantischen Liebe auseinandergenommen und ad absurdum geführt hat. „Warum Liebe weht tut“ heißt ein Illouz-Titel, und davon erzählt Rosa.
Ehebrecherin in romantischer Absicht
Am Anfang sind die Verzweiflung, das Aneinander-vorbei-Reden, das gemeinsame Aufgeben einer Beziehung, an die beide nicht mehr glauben. Missverständnisse, Müdigkeit, Mühen und erbärmliche Szenen. Manche Paare kennen das: Jede Auseinandersetzung schwächt die gemeinsame Lebensgrundlage. Isaac Rosa lässt Angela, die liebende Mutter, und Antonio, den Ernährer, der durch die Digitalisierung des Medien-Gewerbes um seine Ernährungsmöglichkeit gebracht wird, zunächst gegen einander erzählen. Er spricht – sie spricht. Sie spricht – er spricht. Ein Miteinander gibt es nicht mehr.
[Isaac Rosa: Glückliches Ende. Roman. Aus dem Spanischen von Marianne Gareis und Luis Ruby. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2021. 352 Seiten, 22 €.]
Wie ein Soziologe beschreibt Rosa, was die Digitalisierung mit ihren Klick-Zahlen aus Schreibern macht, die sich für Autoren hielten: journalistische Stricher. Antonio, ein kluger Typ und Gegenwartszyniker, bemerkt selbstverständlich und voller Ironie, was ihm da angetan wird. Aber er weiß nicht damit umzugehen.
Angela hat es mit einem immer unruhigeren Mann zu tun. So orientiert sie sich sanft, verschwiegen und in aller Stille um: Ehebrecherin in romantischer Absicht. Antonio macht es später genauso.
Die Geschichte der Dekonstruktion einer Ehe ist bitter genug. Dass sie gegen ihre Entwicklungsrichtung erzählt wird, treibt die Bitterkeit auf eine ätzende Spitze. Isaac Rosa erzählt in einem Tempo und der Sprache von heute – großartig die pointierten Kritiken der beiden gegeneinander, wie sie auf Partys Tischreden und große Thesen von sich geben.
Wussten die beiden, was sie anders hätten machen können oder müssen, um beieinander zu bleiben? Doch wer weiß das schon? Das macht diesen Roman auf faszinierende Weise traurig: Es war klar, dass diese Beziehung nicht gut enden würde. Dabei hatte sie hatte angefangen wie eine (jede) große Liebesgeschichte.