Zur Zukunft der Berlinale: Eine Sache des Herzens
Nach der Berlinale ist vor dem Festival. Die 74. Ausgabe ging mit einer einseitig von Pro-Palästina-Statements dominierten Gala unrühmlich zu Ende. Die künftige Chefin, Tricia Tuttle, saß im Berlinale-Palast: Welches Erbe tritt sie an nach fünf Jahren Doppelspitze mit Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek? Welche Aufgaben findet sie vor, welche sind lösbar, welche nicht?
Neben der Herausforderung, die Plattform für Filme und deren vielfältige Bilder von uns Menschen und der Welt nicht durch politische Aufregerthemen von AfD bis Gaza beschädigen zu lassen, gehört zu den schier unlösbaren Fragen die nach dem zentralen Ort.
Der Potsdamer Platz als aufgeregt schlagendes Herz des Festivals ist Geschichte. Zwar wird der Musical-Palast auch im Februar 2025 wieder zum Berlinale-Palast umfunktioniert. Aber die umliegenden Multiplex-Kinos sind geschlossen oder taugen wegen ihrer luxuriös ausgestatteten Säle mit wenigen Plätzen lediglich für Fachakkreditierte. Bald ziehen auch die Arsenal-Kinos vom Filmhaus in den Wedding – bleibt am Potsdamer Platz nur noch der Berlinale-Palast.
Die Berlinale spielt in der ganzen Stadt, vom Colosseum in Prenzlauer Berg bis zum Titania in Steglitz. Das ist gut so, aber gerade wegen Ihrer Identität als Publikumsfestival braucht sie einen zentralen Ort für jene wilde Mischung, die so auf keinem anderen Festival der Welt existiert. Ein Gelände, auf dem Hollywoodfans, Cineasten, Filmmarkthändler, Laufkundschaft und Medienmenschen einander von morgens bis abends über den Weg laufen. Einen solchen Ort wird auch Tricia Tuttle nicht erfinden können.
Die 53-Jährige hat vier Jahre das Londoner Filmfest geleitet und die Publikumszahlen dort deutlich gesteigert. Vielleicht sind wir Berliner ja nur zu betriebsblind, um das Herz-Problem zu lösen. Der erneut rekordverdächtige Publikumszuspruch spricht ja sogar dafür, noch mehr Kinos als Berlinale-Spielstätten zu gewinnen.
Tuttle ist US-Amerikanerin. Kann sie die für die Königsdisziplin des Bären-Wettbewerbs ziemlich fest verschlossene Tür zu Hollywood einen Spalt weiter aufschieben? An der Taktung der großen US-Filme, die längst Venedig und Toronto als Startrampe für die Oscar-Saison nutzen, wird aber auch sie nichts ändern können. Noch einer der wohl unlösbaren Knackpunkte: Alle Terminverschiebungs-Debatten liefen bislang darauf hinaus, dass der unwirtliche Februar immer noch die beste Option ist, für die Berlinale als erstes großes Festival im Jahr, mit genügend Abstand zu Cannes und Venedig.
Bleibt das Programm-Profil. Hier kann Tuttle mit behutsamen Reformen dem Eindruck der Beliebigkeit entgegenwirken. Encounters, der zweite Wettbewerb, grub dem Bären-Wettbewerb das Wasser ab, mit der Folge, dass Letzterer weniger das Außergewöhnliche als Kompromisslerisches versammelte. Die Wagemutigen und die Visionäre ins Zentrum des Programms, alles andere in die bewährten, sorgfältig kuratierten Nebenreihen von Panorama, Forum, Generation und Shorts: Diese Operation am offenen Herzen täte der Berlinale gut.