Fehlende Fluchtwege: Auf dem Präsentierteller

Ich schreibe über mein jüdisches Leben in Berlin und bin mir gar nicht sicher, ob geneigte Lesende wissen, dass ich im Rollstuhl sitze. Warum das wichtig ist? Weil: Es gibt Schutzstrategien, die wir uns als Jüd_innen im öffentlichen Raum zurechtlegen, wenn Situationen unangenehm oder gefährlich werden.

Als ich noch laufen konnte, war meine Taktik ausweichen und untertauchen wie in guten Agent_innenfilmen. Manchmal reicht das Wechseln der Straßenseite, oder die Flucht in den nächsten U-Bahnhof, um in der einfahrenden Bahn zu verschwinden. Oder sofort ins nächste volle Café, die nächste Bar, um mich dort für ein paar Minuten beherbergen lassen. Ich bin als Jüdin in Berlin sehr sichtbar. Durch meine Arbeit, aber auch ganz visuell.

Berlin, die Stadt der Stufen

Seit ich im Rollstuhl bin, fehlen die Fluchtwege. Oft ist es mir nicht mal möglich in unangenehmen Situationen spontan den Gehweg zu wechseln, weil diese in Berlin so lächerlich hoch sind, dass ich mindestens bis zur nächsten Straßenecke gefangen bin. Oder es gibt gar keinen Ausweg, weil selbst am Übergang keine Absenkung existiert und mir nur die Umkehr durchs Unbehagen bleibt. Sich in Bars, Restaurants oder Cafés zu flüchten ist ebenso unrealistisch geworden: Berlin, die Stadt der Stufen …

Und dann sind da die Öffis. Im besten Fall gibt es einfach kein schnelles Verschwinden im Fahrzeug mehr. Stattdessen schutzlos warten, bis alle eingestiegen sind, die Letzte, entblößt an der Station, um dann mit einer Rampe hinein gelassen zu werden. Im schlimmsten Fall sind die Aufzüge kaputt und es gibt überhaupt kein Entkommen.

Es gibt Tage, an denen ich stundenlang hilflos durch Berlin irre. Wie ein fünfjähriges Kind, unsicher, ob ich jemals wieder nach Hause komme. Weil alle Aufzüge kaputt sind und Busse ausfallen, ich nicht mal irgendwo einkehren kann. Ich fühle mich, als hätte mich die Stadt (Berlin, BVG, die S-Bahn) der Welt zum Fraß vorgeworfen. Die Jüdin auf vier Rädern, stundenlang ohne Ausweg, verzweifelt schutzlos in Berliner Straßen. Die Angst ist echt. Fehlende Barrierefreiheit ist nicht nur unbequem, sie ist gefährlich. Ich bin und bleibe an solchen Tagen ausgeliefert.