Ein Leben auf der Veranda
Die Pandemie hat in die Ausstellungsplanung der Museen tiefe Lücken gerissen. Besonders heftig traf es das Museum Barberini in Potsdam, das im November eine Ausstellung zum Russischen Impressionismus eröffnen wollte. Die Gemälde waren bereits gehängt, als der zweite Lockdown verfügt wurde. Im – gleichfalls privaten – Museum Frieder Burda in Baden-Baden, das als zweite Station vorgesehen war, konnte die Ausstellung seit Ende März gezeigt werden. Von dort ist sie jetzt nach Potsdam zurückgekehrt. Dank der Großzügigkeit der russischen Leihgeber ist die Ausstellung ab Sonnabend zu sehen, so, wie sie von Anfang an geplant war.
Die zeitliche Verschiebung steht, wenn man so will, sinnbildlich für die Kunst selbst. Denn der Impressionismus, in Frankreich in den 1870er Jahren an die Öffentlichkeit getreten und anfangs verlacht und bekämpft, verbreitete sich mit erheblicher Verzögerung in Europa und bis in die USA. Es dauerte an die zwanzig Jahre, bis die typischen Merkmale des Impressionismus, die hellen Farben, die lockere Pinselführung, das Malen en plein air als Errungenschaften anerkannt waren. Wenn auch nicht von allen, gegen die leichthändige Malerei leisteten die Akademien, die den offiziellen Kunstbetrieb bestimmten, erbitterten Widerstand.
Die neue Kunst aus Frankreich kam im Zarenreich verspätet an
In Russland freilich gab es einen doppelten Konflikt. Denn auch die gegen Ende des 19. Jahrhunderts tonangebenden, anti-akademischen Maler der „Wanderer“, wie die Mitglieder der „Genossenschaft zur Veranstaltung von Wanderausstellungen“ genannt wurden, lehnten in ihrer Suche nach einer nicht-westlichen Kunst den Import aus Frankreich ab. Freilich verwischten sich die Grenzziehungen, je mehr Künstler den freieren Malstil für sich entdeckten, ohne darum spezifisch russische Sujets zu verleugnen.
Es macht nicht zuletzt den Reiz der mit rund 80 Werken überwiegend aus der Tretjakow-Galerie, dem Staatsmuseum russischer Kunst in Moskau bestückten Zusammenstellung aus, diese mehrfachen Verschränkungen nachzuverfolgen. In Frankreich blieb der Impressionismus mit einer spezifischen Themenwahl verbunden, mit Sujets, die das Pariser Bürgertum für sich reklamierte, wie die Freizeitvergnügen an der Seine, der Besuch von Cafés, die Sommerfrische an der See; im Ganzen das Leben der Metropole. Das ahmten die russischen Maler nach, die wie Konstantin Korowin nach Paris gingen und gleichfalls Cafés im Schein nächtlicher Beleuchtung malten. Zuhause aber warteten andere Aufgaben: Ilja Repin malt das „Swjatogorsker Mariä-Himmelfahrts-Kloster“, Valentin Serow „Tartarinnen am Fluss“, wie es die Peredwischniki, die „Wanderer“, als Aufgabe der Kunst forderten.
Paris wurde zum Sehnsuchtsort der jungen Maler
Auch deren Protagonisten hatten zum Teil in Paris gelernt, allen voran Ilja Repin, der zur überragenden Figur des Realismus heranwuchs. Er ging, wie auch der später als Lehrer einflussreiche Wassili Polenow, wohlgemerkt als Stipendiat der Akademie nach Frankreich. Die Seine-Metropole behielt auch auf Jüngere ihre Anziehungskraft, und der Vollblutimpressionist Konstantin Korowin malte sie ein Leben lang in gleichwohl eher expressivem Farbrausch. Davon zeugt der erste Raum der Potsdamer Ausstellung mit einer ganzen Reihe russischer Paris-Ansichten. „Im Glanz, in den Farben kann man vieles erreichen“, wird mahnend der Maler Alexander Kisseljow im Katalog zitiert, „aber der Ideengehalt ist eine tiefere Angelegenheit: Er liegt im Abbild des Lebens, im Alltag, in den Gedanken und Sehnsüchten des Volkes.“
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Der Satz drückt vielleicht am prägnantesten aus, worum es den russischen Künstlern zu tun war. Sie sind im Kontext der sozialen und politischen Erschütterungen der späten Zarenzeit zu verstehen. Die „Wanderer“ nahmen sie wahr, die Impressionisten hingegen wollten sich nichts anmerken lassen. Mehr als in Frankreich ist der Impressionismus in Russland auch eine Rückzugsbewegung; etwa aufs Landgut des Mäzens Sawwa Mamontow, wo Valentin Serow bereits in den 1880er Jahren reüssierte. Er blieb bei Sujets wie „Im Sommer“ von 1895, einem zartfarbigen Bildnis inmitten duftiger Landschaft. Das wunderschöne Gemälde war übrigens schon 1976 in Ost-Berlin zu sehen, in einer Ausstellung russischer Malerei der dortigen Nationalgalerie, aber wie lange ist das her!
Russische Kunst hat ohnehin selten Eingang in den Ausstellungskalender gefunden. Unvergessen ist die Retrospektive, die die Berliner Nationalgalerie 2003 für Ilja Repin ausrichtete. Um so höher ist zu bewerten, dass das Museum Barberini sich an die Darstellung einer Kunstlandschaft macht, die nicht auf Vorkenntnis der Besucher rechnen kann.
Verbindungen zum Jugendstil und Expressionismus
Die Abgrenzung zu besagten „Wanderern“ wie überhaupt zum Realismus ist eine Leitlinie der Ausstellung. Es leuchtet hier ein Impressionismus kräftiger Farben, wie auf Nikolai Tarkhoffs „Beim Frühstück“ von 1906 oder Abram Archipows „Im Norden“ von 1910, und selbst in Igor Grabars „Verlöschendem Tag“ von 1904 verlöschen die Farben nicht. Isaak Lewitan, unter russischen Sammlern mehr denn je geschätzt, ist mit einem für ihn ungewohnt schmissigen „Frühling auf der Krim“ aus seinem Todesjahr 1900 zu sehen. Genau das charakterisiert die Künstler der ausgehenden Zarenzeit: Sie sind in ihrer Mehrzahl nicht auf eine Malweise festgelegt.
Im wie Katalog heißt es zutreffend, dass der russische Impressionismus „sich organisch mit Elementen des Jugendstils, des Symbolismus und des Expressionismus verband“. Und schließlich ganz über sich hinausging, um in der erhitzten Avantgarde vor dem Ersten Weltkrieg aufzugehen, die wiederum in parallele Richtungen zerfällt, in den Neoprimitivismus eines Michail Larionow und einer Natalja Gontscharowa und in den Suprematismus eines Kasimir Malewitsch.
In Potsdam sind erstaunlich zahlreiche Beispiele dieser gärenden Zeit und ihrer sich überschneidenden „-ismen“ zu sehen. Dass Malewitsch um 1930, als die Repression der Stalin-Diktatur bereits eingesetzt hatte, zu einem zartfarbigen Impressionismus zurückfand, diese Bilder aber auf den Anfang des Jahrhunderts rückdatierte, ist eine traurige Pointe. Sie wird aufgewogen durch hingetupfte Studien aus den allerersten Anfängen des Künstlers; bemerkenswerterweise aus Berliner Privatbesitz.
[Potsdam, Museum Barberini, bis 9. Januar. Katalog bei Prestel, 30 €. – www.museum-barberini.de]
Ähnlich wie in Deutschland ist der Impressionismus in Russland nicht wirklich heimisch geworden. Die Entdeckung der Landschaft als Bildthema macht das Dilemma deutlich: Den russischen Künstlern, heißt es im Katalog, „ging es (…) nicht um die Wiedergabe der atmosphärischen Phänomene, sondern sie suchten in der Landschaft das Gefühl“. Ob das aber für Gemälde wie „Blauer Schnee. Frühling“ von Stanislaw Schukowski (1899) oder „Weißer Winter. Saatkrähennester“ von Igor Grabar (1904) zutrifft? Mit ihrem Gespinst zarter Linien und bläulicher Schatten sind sie eher Etuden in reiner Malerei, und vor allem: in Malerei des Lichts. Im Raum davor sind lauter Innenansichten versammelt – von Zimmern und Veranden auf den Landgütern, wo gutsituierte Russen seit jeher den Sommer verbrachten. Man spürt, dass die dargestellten Personen erst in dieser sonnenbeschienenen Intimität ganz bei sich sind.
Als der Impressionismus außer Mode kam, war pure Energie gefragt
Die jüngere Generation wollte keine Lyrismen mehr, sondern pure Energie. Und sie wollte den Westen nicht mehr, nur wenige Jahre, nachdem der geschmeidige Sergej Djagilew mit seiner Zeitschrift „Mir Iskusstwa“, „Welt der Kunst“, eine eigene Variante des europaweiten Jugendstils etabliert hatte. Im Barberini sind überraschend viele der jungen Wilden zu sehen, Gontscharowa, Larionow, die Gebrüder Burljuk. Da ist der Impressionismus nicht nur vorbei, sondern regelrecht erledigt. In St. Petersburg, zu Petrograd umfirmiert, bricht 1917 die Revolution los. Doch nicht die Avantgardisten, sondern Ilja Repins Realismus wurde zur ästhetischen Richtschnur der Sowjetmacht. Die Ära des gepflegten Landlebens war unwiederbringlich vorbei.