Pop-Art-Künstler Claes Oldenburg gestorben
Pop-Art mag in seiner Frühphase als knallig, bunt und plakativ überrascht haben, aber aus Sicht von Claes Oldenburg war sie im buchstäblichen Sinne flach. Der in Schweden geborene Künstler glaubte an die Wirkung von Alltagsgegenständen, aber er ging einen Schritt weiter als seine Zeitgenossen.
Er hob die vor allem auf Drucken und Gemälden stattfindende Pop-Art der 1960er zur Skulptur empor und setzte Konsumobjekte auf ebenso humorvolle wie lakonische Weise in einen neuen Kontext, etwa indem er einen Hamburger aus Vinyl zusammennähte oder einen Lichtschalter in schlaffen Stoffbahnen formte.
Am Montag ist der schwedisch-amerikanische Künstler im Alter von 93 Jahren gestorben, wie eine Sprecherin der Pace-Galerie in New York sagte. Mit Andy Warhol und Roy Lichtenstein zählte er zu den größten Vertretern der Pop-Art. Die Pace-Galerie vertrat Oldenburg seit 1960. Zuletzt habe er sich in seinem Studio im Stadtteil Soho, wo er auch lebte, von einem Sturz erholt, so die Sprecherin.
Gesundheitlich angeschlagen war er schon länger gewesen, nachdem er sich vor ein paar Jahren die Hüfte gebrochen hatte. Auch mit Hilfe eines Fahrradtrainingsgeräts zu Hause hatte er dagegen angekämpft und noch lange weiter gearbeitet. „Manche Tage sind wunderbar, andere sind schrecklich. So ist das eben“, sagte er vor wenigen Jahren der „New York Times“.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Das Bedeutende an Oldenburgs Kunst war die Bedeutungslosigkeit, wie er selbst einmal erklärte. „Die Bedeutung darin wird zweifelhaft und uneinheitlich bleiben – und genau so sollte es sein.“ Bedeutung wurde lediglich simuliert, und Fans wie Kritiker blieben manchmal rätselnd zurück, wenn sie einem gigantischen Teelöffel mit Kirsche, der Skulptur eines riesigen Federballs oder wabbeligen Tortenstücken einen tieferen Sinn andichten wollten.
Claes Thure Oldenburg wurde 1929 in Stockholm geboren, einige Jahre später zog die Familie in die USA, wo er aufwuchs. Er studierte in Yale und versuchte sich als Reporter beim City News Bureau in Chicago, besuchte dann aber das Art Institute of Chicago und illustrierte für Magazine.
Nach dem Umzug nach New York 1953 – er besaß mittlerweile die amerikanische Staatsbürgerschaft – experimentierte er in ersten Ausstellungen mit Pappmaché und Gips. „Sausage“ hieß die erste seiner „soft sculptures“ – weiche Objekte aus Stoff, die er mit Zeitungspapier oder Lumpen und Kleidungsfetzen stopfte.
Claes Oldenburgs Markenzeichen waren die “soft sculptures”
Den Raum aus der Welt des alltäglichen Konsums schuf Oldenburg gleich mit, als er einen Laden namens „The Store“ in der Lower East Side anmietete. Er verkaufte Gips-Nachahmungen von so alltäglichen Dingen wie Schuhen, Hemden und Tortenstücken, die er in einem Hinterzimmer „massenhaft“ herstellte. Dort wie mit den „soft sculptures“ – Badewannen, Schreibmaschinen und Ventilatoren – blieb er nah am täglichen Leben des Publikums. Diese Arbeiten gelten heute als erste Skulpturen der Pop-Art.
In New York, wo Oldenburg neben Aufenthalten in Kalifornien und dem Loiretal in Frankreich bis zuletzt hauptsächlich lebte und arbeitete, war er auch Jim Dine und Allan Kaprow begegnet. Gemeinsam versuchten sie, das aus ihrer Sicht verkrustete Denken der Abstrakten Expressionisten aus der vorigen Generation zu durchbrechen.
Auch Yoko Ono, Robert Rauschenberg, Jasper Johns und Andy Warhol lernte Oldenburg hier kennen. Die Vertreter von Pop-Art, Beat und Fluxus wussten nicht, was als nächstes folgen würde. Doch in einer Frage war man sich einig: Der Abstrakte Expressionismus, der auf abgehobene Weise das Innenleben des Künstlers abbilden sollte, war tot.
Auf der Documenta lud er ins “Mouse Museum”, in Gestalt eines riesigen Micky-Maus-Kopfes
Mit zunehmender Bekanntheit wuchsen auch Oldenburgs Skulpturen. Der massive Lippenstift auf einem Kettenfahrzeug auf dem Yale-Campus und die gewaltige Wäscheklammer „Clothespin“ in Philadelphia (beide 1976) waren erste Arbeiten unter freiem Himmel. Bei der Weltausstellung in Osaka 1970 vertrat Oldenburg die USA mit einem schwimmenden “Riesen-Eisbeutel”, bei der Documenta 5 im Jahr 1972 lud er ins “Mouse Museum”, einer Riesenskulptur auf dem Grundriss des Micky-Maus-Kopfes.
1977 heiratete er in zweiter Ehe die Kunsthistorikerin Coosje van Bruggen, mit der er bis zu ihrem Tod im Jahr 2009 eng zusammenarbeitete.
Oldenburg blieb in seinen Arbeiten nicht auf cooler Distanz wie Warhol oder Lichtenstein und brachte in gewisser Weise Gedankengänge von Surrealisten wie René Magritte und Salvador Dalí zu Ende: Er blies eigentlich kleine, alltägliche Dinge in Übergröße auf, setzte sie in eine Landschaft und damit in eine Umgebung, der sie völlig fremd waren. Die bekannteste dieser Arbeiten ist die mit Van Bruggen entwickelte „Spoonbridge and Cherry“, ein Löffel für Giganten samt Kirsche, der heute zu den Symbolen der Stadt Minneapolis zählt.
Aber, merkte Oldenburg 2015 an, „eine kleine Skulptur kann genau so mächtig sein wie eine große“. Und wie viele seiner Arbeiten konnte auch dieser Satz im sexuell-erotischen Kontext gedeutet werden. Die mal schlaffen, mal straffen Objekte Oldenburgs haben teils eine erotische Ausstrahlung, was in den Räumen der National Gallery of Art in Washington, der Tate Gallery in London oder dem Kunstmuseum Basel vielleicht nicht immer zur Geltung kommen mag.
Oldenburg zeigte eine viele Meter hohe Krawatte in Frankfurt und in Münster Billardkugeln
Die Kunstwelt empfing ihn mit Begeisterung – auch in Deutschland. In Kassel war er gleich mehrfach auf der Documenta, und hieb zum Beispiel eine zwölf Meter hohe Spitzhacke ins Ufer der Fulda. In Frankfurt war es eine fast ebenso hohe Krawatte, in Münster Billardkugeln, in Köln eine Eistüte und in Freiburg ein Wasserhahn mit Schlauch.
Doch wie banal ein Objekt auch wirkt – bei Oldenburg ist eine Wäscheklammer niemals nur eine Wäscheklammer. Weiche Materialien wie Vinyl, Latex und Kunstfelle machten nicht nur die Skulpturen dehnbar, sondern auch deren Interpretation. Vor allem aber sollte eine Arbeit in seinen Augen nicht einfach Selbstzweck sein. Oldenburg sagte es so: „Ich bin für politisch-erotisch-mystische Kunst, die mehr tut, als nur auf ihrem Hintern in einem Museum zu sitzen.“
Die Kunst, die sich spielerisch mit dem Konsumwelt befasste und Gesellschaftskritik mit leichter Hand übte, sie ist Geschichte. Mit Claes Oldenburg ist der letzte der großen Pop-Art-Künstler gestorben. (dpa/Tsp)