Ein Beuteltier unter Aluhüten
Wer ist hier jetzt eigentlich das gehirngewaschene Schlafschaf? Der Kleinkünstler Marc-Uwe, der glaubt, seine Kreuzberger Altbauwohnung mit einem sprechenden Känguru zu teilen? Oder das verfressene Beuteltier, das sich Schnapspralinen und Pfannkuchen reinhaut und die menschliche Trantüte trotzdem ständig bei „Schnick Schnack Schnuck“ schlägt?
Wirklichkeit, Wahrheit, Wahrscheinlichkeit gingen in Marc-Uwe Klings Känguru-Erfolgsmarke schon immer wild durcheinander. Das macht den Reiz der Bücher, Comicstrips, Radio-Kolumnen, Würfel- und Videospiele aus. Nur konsequent also, dass auf „Die Känguru-Chroniken“, Dani Levys Verfilmung von Klings Tetralogie, nun postwendend „Die Känguru-Verschwörung“ folgt.
Trotz der Corona-Löcher im Pandemie-Jahr 2020 gelang Teil eins ein achtbarer Vermarktungserfolg, was angesichts der seit 2008 – als das Känguru erstmals als Radiokolumne bei „Fritz“ ausgestrahlt wurde – stark gewachsenen Fangemeinde aber auch nicht erstaunt. Jeder zwölfjährige Nerd, der Sympathien für linksalternative Popkultur, Berliner Folklore und den Lesebühnen-Autor und Kabarettisten Marc-Uwe Kling hegt, liebt das Känguru. Auch Erwachsene sollen unter den Anhängern des kommunistischen Kassengolds sein.
Höchste Zeit also, dass auf der „Conspiracy Convention“ in Bielefeld nun endlich das ganze Ausmaß der Kängururitis aufgedeckt wird. Walter Feldmann (Daniel Zillmann), der auf Youtube den Kanal „Walternative Fakten“ betreibt, hat die Beweise. „Seit Jahrhunderten ziehen Kängurus im Geheimen die Fäden“, doziert er vor der versammelten Gemeinde der Verschwörungsgläubigen und fährt eine „Zelig”-artige Slideshow „historischer Aufnahmen“ ab: das Känguru neben Jesus beim letzten Abendmahl, neben Revolutionär Lenin, auf Höhlenmalereien. „Nieder mit der Känguru-Verschwörung!“ kann da nur der Schlachtruf aller denkenden Menschen sein, was postwendend für Tumulte beim Querdenker-Treffen sorgt.
Der Ober-Schwurbler heißt Adam Krieger
Was Kleinkünstler (Dimitrij Schaad) und Känguru überhaupt auf der Convention zu suchen haben? Na, eine Geschichte, die es mit den in den Büchern skizzierten Possen über Neue Rechte und Gentrifizierung in Kreuzberg aufnehmen kann – welche im ersten Film noch mit viel Klamauk und Knallchargen-Humor in Szene gesetzt wurden. Das Drehbuch der „Känguru-Verschwörung“ basiert dagegen nicht auf Klings Geschichten, sondern wurde vom Autor (mit Unterstützung von Jan Cronauer) frei nach seinen eigenen Motiven weitergesponnen. Auch die Regie führt Marc-Uwe Kling diesmal selbst. Das hätte er vielleicht besser gelassen.
Trotz dem üblichen Feuerwerk bekloppter Einfälle, dem solide animierten Motion-Capture-Beuteltier und dem Konsenshumor-fähigen Schwurblermilieu, zeitigt Teil zwei mehr Gähn-Attacken als Lachsalven. Zwar wartet die Story mit amüsanten Charakteren wie der rustikalen Lisbeth Schlabotnik (Petra Kleinert) und dem charismatischen Ober-Schwurbler Adam Krieger (Benno Fürmann) auf, aber die Story ist so dünn und pappig wie Esspapier.
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„Diesel-Liesel“ Schlabotnik, die Mutter von Marc-Uwes Dauerschwarm Maria (Rosalie Thomass), ist im „Internet falsch abgebogen“, leugnet nun auf Youtube die Klimakrise und will „aus Prinzip“ mit dem Flugzeug nach Bielefeld fliegen. Kleinkünstler und Känguru brechen einer Wette wegen auf, um Lisbeth auf den Weg der Vernunft zurückzuführen. Klappt es, muss Maria mit Marc-Uwe in Paris essen gehen, klappt es nicht, muss er seine Altbauwohnung an die alleinerziehende Maria abtreten.
(Ab Donnerstag in 27 Berliner Kinos)
Der Roadtrip nach Bielefeld verläuft selbstredend als Pleiten-, Pech- und Pannenorgie, inklusive einem kurzen Genrewechsel ins Horrorfach. Nach dem Verzehr von Haschkeksen (dem abgelutschtesten Gag überhaupt) strandet Marc-Uwe in der Provinz in der Düster-Ausgabe seiner Berliner Stammkneipe „Bei Herta“, wo der Nachtschlaf Reisender ähnlich gefährdet ist wie weiland im Gespenster-Wirtshaus im Spessart. Und als das Chaosduo anderntags im Wald auch noch auf Fake-Römer trifft, die die Varus-Schlacht nachspielen, wird die Lage vollends unübersichtlich. Unnötige Rückblenden, die scheinbar vergessene Handlungsstränge nachzutragen versuchen, komplettieren das dramaturgische Flickwerk.
Immerhin ist es ganz lustig, wie Kling die Entstehungsmechanismen von Verschwörungsmythen satirisch überzeichnet. Als Lisbeth im Restaurant die nicht ernst gemeinte, aber von ihren Anhängern sehr ernst genommene „Theorie“ in die Welt setzt, dass die Erde ein Würfel sei, verselbstständigt sich das so-called Narrativ in Nullkommanichts in der Schwurblerszene. Frei nach dem Motto: Solange du jemanden findest, der dir glaubt, kannst du jeden Blödsinn erzählen. Mehr Analysepotenzial ist nicht. Schwurbler zurückholen könne sein Film wahrscheinlich nicht, merkt Marc-Uwe Kling in weiser Selbsterkenntnis zu einem Regiedebüt an. Aber womöglich „kann das Lächerlichmachen durchaus Leute, die schon am Kaninchenbau stehen, davon abhalten hineinzuspringen“. Wer’s glaubt.