Ukrainische Stand-up-Comedians in Berlin: Mit Humor die Geschichte in die eigenen Hände nehmen
In der Kreuzberger Bar Space Meduza ist es stickig und laut. An diesem Abend steht ukrainische Stand-up-Comedy auf dem Programm. „Sind hier irgendwelche FSB-Agenten? Dann stehen Sie auf“, sagt die Komikerin Yuliia Onyshchenko und hält fünf Sekunden inne, woraufhin das Publikum lacht. „Ich weiß, dass FSB-Agenten sehr gehorsam sind, sie tun immer, was man ihnen sagt.“
Wie viele im Publikum kam Onyshchenko 2022 nach Berlin – nur für ein paar Wochen, wie sie dachte. Inzwischen sind Jahre daraus geworden und die Mittdreißigerin hat YeStandup Berlin gegründet, ein Kollektiv ukrainischer Stand-up-Comedians.
Ukrainische Stand-up-Comedy ist für Berlin ein relativ neues Phänomen. Bis 2022 sich besuchten die hier lebenden Ukrainerinnen und Ukraine deutsche oder russischsprachige Comdey-Aufführungen. „Das war logisch, sie wählten die Sprache, die für alle bequemer war“, sagt Daria Lahutina. Sie sitzt einig Tage nach dem Abend im Space Meduza neben Yuliia Onyshchenko in einem sonnigen Café in Friedrichshain.
Lahutina stammt aus der Region Donezk, lebte seit 2014 in Kiew, wo sie anfing, Stand-up zu machen. Jetzt ist sie Produzentin bei YeStandup. „Eines unserer Ziele ist es nun, den Ukrainern, die zu russischsprachigen Veranstaltungen gehen oder gegangen sind, eine Alternative zu bieten. Wir achten sehr darauf, was in der Ukraine passiert, wir nehmen die Nachrichten und die aktuellen Ereignisse auf und sprechen darüber.“
Manche Witze sind schwer zu übersetzen
Das Team von YeStandup Berlin besteht derzeit aus 25 Comedians. Einige sprechen bei ihren Auftritten ausschließlich Ukrainisch, andere versuchen sich auch an englischsprachigen Programmen. „Natürlich sind nicht alle Witze einfach zu übersetzen, wenn man den kulturellen Kontext bewahren will“, sagt etwa Gruppenmitglied Yevhenii Hrebeniuk, ein junger Comedian, der wegen seines Gesundheitszustandes, der ihn für die ukrainische Armee untauglich machte, nach Deutschland zog.
„Auf Ukrainisch mache ich zum Beispiel einen Witz über die Deutsche Bahn: ,Es gibt so viele Verspätungen, weil es einfach niemanden gibt, der auf die Räder schlägt.’“ Damit spielt er auf eine geheimnisvolle Art von Angestellten der ukrainischen Bahn an, deren Hauptaufgabe darin zu bestehen scheint, herumzulaufen und mit einem Hammer auf jedes Rad des Zuges zu schlagen.
Auf der eigenen Familiengeschichte basiert ein Witz von Maryna Akopian: „In den 90er Jahren lebten mein Großvater und meine ganze Familie in Georgien. Als die Russen dorthin kam, suchten wir nach einem sichereren Ort. Mein Großvater wählte den Donbass. Im Jahr 2014 kamen die Russen auch dorthin. Mein Großvater zog nach Kiew und im Jahr 2022 nach Berlin.“ Und die Pointe: „Wenn Putin Berlin bombardiert, dann nur, weil er Albert Arschakowitsch sucht“.
Akopian ist eine ukrainisch-armenische Komikerin, die schon vor 2022 nach Berlin kam. Im Videochat-Gespräch betont sie, dass Comedy für sie kein Bewältigungsmechanismus ist, sondern eine Möglichkeit, ihre eigene Subjektivität zu behaupten, eine Chance, die Erzählung in die eigenen Hände zu nehmen. „Wir sehen, wie Propaganda von allen Seiten funktioniert. Deshalb haben wir unsere eigenen Stimmen, die die Dinge und Botschaften, die uns wichtig sind, auf sehr effektive Weise vermitteln können – durch Lachen, durch ein Gefühl der Verbundenheit zu anderen Menschen.“
Im Café in Friedrichshain sagt Yuliia Onyshchenko, dass der Leitsatz der ukrainischen Comedy – vielleicht sogar der des ganzen Landes – eine Zeile der Dichterin Lesya Ukrainka sein könnte: „Ich habe gelacht, um nicht zu weinen.“ Gleichzeitig bleibt für Onyshchenko die wichtigste Regel der Stand-up-Comedy, keine Witze über Dinge zu machen, die man nicht kennt oder erlebt hat.
„Ich habe eine Freundin beim Militär, die Bücher über die verschiedenen Arten von Folter gelesen hat, damit sie weiß, worauf sie sich vorbereiten muss“, sagt die Komikerin und erinnert sich weiter, dass ihre Freundin im Gespräch scherzte: „Ich lese, um zu verstehen, welche Art von Folter zu mir passt.“ Daraufhin Onyshchenko: „Es ist ja nicht so, dass man dir in der Gefangenschaft einen Fragebogen vorlegt: ,Welche Arten von Folter passen zu dir, was erwartest du heute?’“
Ihre Freundin lachte darüber, aber Onyshchenko würde davon dennoch nie auf die Bühne erzählen. „Denn ich war nicht in Gefangenschaft, es ist nicht meine Erfahrung. Meine Freundin hat gelacht, aber jemand, der in Gefangenschaft war, sieht das vielleicht anders.“
Sexismus in der ukrainischen Comedy-Szene
Aus denselben Gründen mag es Yuliia Onyshchenko nicht, wenn Männer Witze über Frauen reißen. Sexismus in der Stand-Up-Szene macht nicht nur ihr zu schaffen. So gab kürzlich die berühmte ukrainische Stand-up-Komikerin Alla Volkova auf ihrem You-Tube-Kanal das Ende ihrer Karriere bekannt: „Ich will nicht so tun, als würde nichts passieren. Denn es passiert wirklich etwas. Ich bin innerlich am Kochen. Jede Äußerung eines männlichen Komikers, vor allem in der Öffentlichkeit, über das, was Frauen im Comedy-Bereich tun, berührt mich, ich fühle mich unwohl“, sagt sie und schaut müde in die Kamera.
In der Berliner Szene sind die Frauen in der Mehrheit – das Sexismus-Problem ist ihnen sehr bewusst. „In der Ukraine kann es vorkommen, dass man abgelehnt wird, weil es schon eine Frau im Line-up gibt“, sagt Daria Lahutina. Dass sich daran inzwischen etwas geändert hat, glaubt sie nicht. Als Ankündigung werde gern gesagt: „Und jetzt eine schöne, charmante junge Komödiantin …“ Das habe sich selbst in Berlin nicht geändert. Ihre Kollegin Yuliia Onyshchenko nickt: Lange Zeit sei der einzige Weg für eine Frau in die Stand-up-Szene gewesen, frauenfeindliche Scherze zu machen.
Humor ist kurzlebig. Wenn ukrainische Stand-up-Comedians 2022 in Berlin viele Witze über deutsche Saunen (der osteuropäische Horror vor völliger Nacktheit an einem öffentlichen Ort), das deutsche Bankensystem und die Deutsche Bahn machen, was ist noch lustig, wenn sie schon länger in der Stadt leben? Eine Möglickeit, sich nicht im Kreis zu drehen, können universellere Themen sein.
So erzählt Maryna Akopian in ihrem Stand-up-Programm zum Beispiel von ihrer Mutter, die mittlerweile auch in Berlin wohnt. „Sie schreibt mir die ganze Zeit, will mich treffen“, sagt die Komikerin. „Und sie hat diese Art zu schreiben … sie schreibt wie dein Ex. Aber anstelle von Pimmel-Bildern schickt sie Bilder von Backwaren. ,Willst du mit zu mir nach Charlottenburg zum Kaffee kommen? Vielleicht überzeugt dich ja dieser saftige Orangenkuchen?’ Und natürlich komme ich, weil … nun ja, es ist Mama.“