Berlinale-Klamauk „L’Empire“: Trottel aus dem Weltall
Bruno Dumont hält nichts vom Konzept des Auserwählten. Das hat der französische Regisseur mit seinem von allen Wundern befreiten Debütfilm „Das Leben Jesu“ 1997 gleich klargemacht und seither in Interviews immer wieder betont. Das Bedürfnis zu glauben allerdings, andere Menschen und Dinge mit Bedeutung aufzuladen, die nicht von dieser Welt ist, um all den Irrsinn zu ertragen, dafür zeigt der Filmemacher größtes Verständnis.
Auch in „L’Empire“ ward den einfachen Bewohnern des Fischerdorfs an der Côte d’Opale im Norden Frankreichs ein Heiland geboren, der eigentlich nichts weiter tut als zu grinsen und sich von Oma herumtragen zu lassen. Doch wenn das Kleinkind Freddy sein speckiges Händchen hebt, fallen die Menschen vor ihm auf die Knie.
Nur – sind das überhaupt Menschen? Und wenn ja, was bedeutet das genau? Diese Fragen stellen sich bald die außerirdischen Wesen selbst, die hier heimlich menschliche Körper besetzt haben. Im Exil Erde wollen sie sich auf einen großen Kampf vorbereiten, bei dem der kleine Freddy eine entscheidende Rolle spielen soll.
Männer voll bekleidet, Frauen im Bikini
Kontroversen ziehen sich durch Bruno Dumonts gesamte Karriere, doch im Fall von „L’Empire“ gab es schon öffentlichen Ärger, bevor der Film fertig war. Ursprünglich sollte die Schauspielerin Adèle Haenel, eine prominente Figur der französischen Metoo-Bewegung, eine Hauptrolle übernehmen. Angekündigt war das als ihre „Rückkehr“ zum Film, nachdem die Schauspielerin der Branche den Rücken gekehrt hatte, als Roman Polanski, den mehrere Frauen der Vergewaltigung beschuldigen, 2020 den César für die beste Regie bekam. Doch statt zum Comeback bewegte Haenel die Zusammenarbeit mit Dumont zum endgültigen Rückzug vom Kino. Das Drehbuch sei voller Witze über Cancel Culture und sexuelle Gewalt gewesen, auf ihre Kritik daran sei Dumont nicht eingegangen, erklärte Haenel später in einem Interview.
Nun darf das freilich niemanden überraschen, der schon mal einen Dumont-Film gesehen hat. Mit Moral hat es der Regisseur nicht, er verurteilt und predigt nicht, ganz im Gegenteil. Frömmelei aller Art entlarvt er als opportunistische Clowniere und das noch nie so deutlich wie in „L’Empire“. Die bösen „Nullen“ und die guten „Einsen“, wie die extraterrestrischen Völker sich nennen – womöglich in Anspielung auf die Herrschaft des Digitalen –, fliegen in Thronsälen und Kathedralen durchs Weltall, halten darin groteske Zeremonien inklusive sexy Tänze ohne Arme ab.
Cancel Culture und sexuelle Gewalt sind im Endprodukt kein Thema mehr, Anlass für feministische Kritik bietet der Film trotzdem. Frauen treten hier größtenteils entweder in Booty Shorts, Bikini oder nackt auf, während die Männer ihre Klamotten anbehalten. Und wenn der „dunkle Ritter“ die Hand seiner mächtigen Widersacherin, deren „geilen Arsch“ er gerade noch gelobt hat, auf sein Gemächt presst, schmilzt sie dahin. Als Satire will sich das im weiteren Verlauf nicht recht erschließen.
Anderes ist durchaus lustig in „L’Empire“. Bierernste Lichtschwertkämpfe im Vorgarten zum Beispiel, die unterbrochen werden, wenn Mutti in Schlappen aus der Tür schlurft, um kurz eine zu rauchen. Wenn die Ritter der Nullen auf dicken Schimmeln über die Äcker trotten, oder eine Priesterin der Einsen ihren extravaganten Umhang, der in der Kirche eben noch glänzte, plötzlich klatschnass hinter sich aus der Nordsee schleifen muss. Dumont inszeniert konsequent die Banalität des vermeintlich Heiligen und Royalen, der Kampf von Gut und Böse ist hier eine reine Farce.
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Lange trägt der Reiz dieser Farce allerdings nicht – nach der Hälfte des ersten Screenings hatte sich auch die Hälfte des Kinosaals geleert. Normalerweise präsentiert Dumont noch die trotteligsten seiner Figuren mit einer gewissen Zuneigung, doch hier nerven ausnahmslos alle. Auch die Komik nimmt bald rapide ab, das Gefasel der außerirdischen Krieger ist irgendwann nicht mehr auszuhalten. Um diesen Irrsinn zwei Stunden lang zu ertragen, muss man schon ein sehr frommer Cineast sein.