Léa Seydoux und Tilda Swinton strahlen im Wettbewerb

Die hitzige Aufmerksamkeitsökonomie in Cannes ist gnadenlos. Klar geht es an der Croisette inzwischen fast nur noch ums Arthousekino, aber auch das verkauft sich immer öfter über große Namen. Leos Carax dreht mit Adam Driver und Marion Cotillard, Mia Hansen-Løve hat für „Bergman Island“ Tim Roth wiederentdeckt. Wes Anderson ist eh ein Fall für sich.

Nirgendwo lässt sich die Seismik des Marktes so gut beobachten wie in Cannes: Asghar Farhadi hat sich nach seiner letzten Arbeit mit Penélope Cruz und Javier Bardem sowie zwei Oscars wieder die Freiheit genommen, „A Hero“ im Iran zu drehen.

Am Donnerstag haben die beiden prominentesten weiblichen Stars dieser Cannes-Ausgabe ihre letzten Auftritte im Wettbewerb: Léa Seydoux in „France“ von Bruno Dumont (ihr vierter Film schon), passenderweise einen Tag nach dem französischen Nationalfeiertag, und Tilda Swinton in Apichatpong Weerasethakuls „Memoria“ (ihr dritter); beide waren zuvor gemeinsam in Andersons „The French Dispatch“ zu sehen.

Die Palmengewinner Dumont (1999 mit „L’Humanité“) und Weerasethakul („Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“, 2010) gehören auf dem konfektionierten Arthousemarkt zu den Autorenfilmern der sperrigen Sorte. Sie arbeiten bevorzugt mit Laien, weswegen ihre Interpretation von Starkino an der Croisette für gesteigertes Interesse sorgte. Man darf konstatieren, dass beide Regisseure den Starqualitäten ihrer Darstellerinnen zuspielen, wenn auch mit unterschiedlichen Konsequenzen.

Satire auf unsere Mediengeilheit

Dumont badet Léa Seydoux in der Mediensatire „France“ im schonungslosen Scheinwerferlicht eines Nachrichtenstudios – wenn seine Protagonistin France de Meurs nicht gerade an Kriegsschauplätzen in der Schusslinie steht. Frankreich liebt France, die Autogrammjäger auf der Straße erweisen sich aber schnell als Running Gag, der sich irgendwann genauso totläuft wie die Krokodilstränen, die die Nachrichtensprecherin angesichts der Leiden der Welt immer wieder vor der Kamera verdrückt.

Der große Verweigerer Dumont, dem die französische Filmkritik in Hassliebe verbunden ist, hatte zuletzt mit burlesken Slapstick-Komödien und Heavy-Metal-Musicals (über Jeanne d’Arc) seine populäre Ader entdeckt. Aber in „France“ befindet er sich zurück im kompromisslosen Anti-Modus.

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Und er weiß, dass er damit durchkommt, weil Léa Seydoux ihre bisher enthemmteste Performance abliefert: Starkino, das sich über unsere Mediengeilheit lustig macht. Dass sie nach einem positiven Corona-Test ihre Teilnahme abgesagt hat, trübt die Stimmung zusätzlich. Es hätte ein Cannes-Highlight werden können – und Dumonts großer Moment. Aber der macht dieses Jahr lieber den Bartleby.

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Von Bogotá in den Dschugel

Apichatpong Weerasethakul weiß ebenfalls um die Stärken von Tilda Swinton, verzichtet im Gegensatz zu Dumont aber darauf, seine Hauptdarstellerin vorzuführen. Das Werk des thailändischen Regisseurs lässt sich wohl besser erfahren als beschreiben, und Swinton besitzt die schauspielerische Sensibilität, ihr Ego für diesen synästhetischen Zugang zum Kino zurückzustellen.

In „Memoria“ spielt sie eine britische Orchideenzüchterin im kolumbianischen Exil, die von einem unheimlichen Geräusch heimgesucht wird, das nur sie hört. Jessica wandert eine Stunde durch Bogotá. Ein Tontechniker, der nur in ihrer Fantasie zu existieren scheint, rekonstruiert das Geräusch für die desorientierte Frau, das sie schließlich in den Dschungel führt – an einen Ort zwischen lange zurückliegenden Menschheitsepochen.

Swintons metaphysische Aura ist wie geschaffen für die feinstoffliche Wahrnehmung von Weerasethakuls Œuvre, das längst an den Kunstmarkt angedockt ist. Auch so kann man die Starpersona zum Strahlen bringen: nicht als Spezialeffekt, sondern als Resonanzkörper des Kinos.