Denkt an eure Toten!
Nicht, dass die Welt zu Oskar Loerke auf den Friedhof in Berlin-Frohnau pilgern würde wie zu Bertolt Brecht auf den Dorotheenstädtischen Friedhof. Sein städtisches Ehrengrab aufzulösen, während das von Brecht noch einmal 20 Jahre verlängert wird, ist dennoch ein starkes Stück. Das Argument, bei dem Dichter und Erzähler (1884-1941) sei „ein fortlebendes Andenken in der allgemeinen Öffentlichkeit“ nicht erkennbar, wie es in einer Mitteilung des Senats heißt, die zugleich zehn neue Ehrengräber ankündigt, lässt sich erstens gegen sich selbst wenden: Mit dem Grab wird die Erinnerung an Loerke erst recht ausgelöscht.
Zweitens sind die literarischen Verdienste dieses Naturmagiers und langjährigen Cheflektors des S. Fischer Verlags, der auf Distanz zu den Nazis hielt, unübersehbar. Erst 2010 ließ die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung eine zweibändige Ausgabe sämtlicher Gedichte herausgeben. Das Vorwort schrieb Lutz Seiler, der nun auch als einer der ersten protestierte. Ihm angeschlossen haben sich der deutsche PEN und die Akademie der Künste.
Umschichtungen in der Gedenkkultur sind unvermeidlich: Die Zahl der Ehrengräber – heute fast 700 – kann nicht ungeprüft weiterwachsen. Im Fall Loerke aber waltet eine Ahnungslosigkeit, die sich mit einem neu einzurichtenden Ehrengrab für einen hochverdienten, aber tatsächlich nur Eingeweihten vertrauten Mann wie dem 1995 verstorbenen Filmwissenschaftler und Kritiker Karsten Witte nicht gut verträgt.