Der Al Capone von Berlin: Ein Kriminalroman erzählt die Geschichte der berüchtigten Gladow-Bande

„Gladow hingerichtet“. Nur noch eine Neun-Zeilen-Meldung war dem Tagesspiegel am 11. November 1950 der am Vortag in Frankfurt (Oder) per Fallbeil vollzogene Tod des 19-jährigen Werner Gladow und zweier Mitglieder seiner Bande wert. Es war der seit Monaten erwartete Schlussstrich unter einer kurzen, doch steilen kriminellen Karriere.

Sie hatte den in der Friedrichshainer Schreinerstraße wohnenden Gladow vom kleinen Schwarzmarktganoven zum Anführer der in Ost- wie West-Berlin gefürchteten Weiße-Krawatten-Bande geführt. Blütenweiße Schlipse und Maßanzüge waren ihr Markenzeichen, der von Gladow vergötterte Al Capone ihr auch modisches Vorbild.

Erfolgreich mit Kinderbüchern

Neun Zeilen nur. Doch wer ahnte schon, dass Gladow einmal zu einer fast mythischen Figur wie Michael Kohlhaas würde, zum nachhaltigen Stoff für Filme, Dokumentationen, Bücher, ein Bühnenstück – und nun auch einen Kriminalroman, „Berlin-Gangster“ von Daniel Höra.

Der zuvor mit Jugendbüchern erfolgreiche Autor hat sich, so lässt er in einer Vorbemerkung wissen, an dem historischen Kriminalfall orientiert, was angesichts der spektakulären, oft brutalen Taten der Bande schon eine Spannungskurve von einiger Höhe garantiert. Das Buch folge „chronologisch den Taten der Bande, jedoch wurden die Ereignisse dramaturgisch angepasst und um fiktionale Elemente ergänzt“.

Gaunertreffpunkt Mulackritze

Trotz aller Fiktionalität bemüht sich Höra um eine historisch korrekte Kulisse für die im Mittelpunkt stehenden Verbrechen. Akribisch werden, wie vom Stadtplan abgelesen, die Straßen genannt, auf denen sich die Bande bewegt, auch streut der Autor fürs Ambiente hin und wieder bekannte, damals noch bestehende Gebäude wie das Haus Vaterland oder den Ganoventreffpunkt Mulackritze ein.

Andere wie den Pratergarten kann man noch heute besuchen wie einst Romanfigur Gladow, der dort drei ihn bewundernden Nachwuchsgangstern Bier spendiert. Um sich aber vorzustellen, wie „das Bier sein Blut langsam aufkochte, seine Nervenbahnen durchpustete“, braucht man einige Fantasie.

In die Zeit, als die Kladow-Bande ihr Unwesen trieb, fällt die Luftbrücke, deren 75. Jubiläum in diesem Jahr gefeiert wird. Im Roman spielt sie kaum eine Rolle, obwohl sie doch das Leben zumindest der Menschen im Westteil der Stadt bestimmte. Das ist erstaunlich angesichts der Bemühungen Höras um den gesellschaftlichen Hintergrund der Taten und historisches Lokalkolorit.

Die gehen so weit, dass Bandenmitglied Mücke, der zwecks Entsorgung eines geklauten Autos durch Erkner kommt, angesichts eines Bahnwärterhäuschens einen literarischen Geistesblitz hat: „Erkner! Gerhart Hauptmann! Hier spielte sein ,Bahnwärter Thiel’!“

Ein belesener Junggangster

Junggangster Mücke sogar belesen? Nun, man muss es hinnehmen, eine Fiktion eben. Immerhin wird seine Beziehung zum Schneiderlehrmädchen Sylvia weitaus glaubhafter geschildert in ihren vorsichtigen Herantasten, den euphorischen Illusionen der Liebesleute, der absehbaren Auflösung der Gefühle.

Böse Jungs: James Cagney (li.) und Edward Woods in dem US-Gangsterfilm „Public Enemy“ von 1931. In Deutschland hatte er seine Premiere am 7. April 1970 – im Fernsehen.
Böse Jungs: James Cagney (li.) und Edward Woods in dem US-Gangsterfilm „Public Enemy“ von 1931. In Deutschland hatte er seine Premiere am 7. April 1970 – im Fernsehen.
© imago images/Mary Evans

Auch Gladows Charakterisierung ist durchaus überzeugend: ein kleiner narzistischer, sich selbst überschätzender Ganove, der glaubt, das Zeug zum Unterweltkönig zu haben, wie Al Capone eben. Sein Wissen, wie solch ein Super-Gangster auszusehen, wie er zu denken und zu handeln habe, entstammt Büchern über den Mann aus Chicago und nicht zuletzt Hollywood-Streifen wie „Public Enemy“, „Angels with Dirty Faces“ oder „Little Cesar“.

Eine Grapefruit ins Gesicht

Einmal seinem Mädchen wie James Cagney in „Public Enemy“ eine Grapefruit ins Gesicht drücken, ja das wär’s, stellt Gladow sich vor. „Leider gab es in Berlin keine Grapefruit.“

Ein hübsche Idee, die Hauptfigur über deren Kinohelden zu charakterisieren und ihn noch auf dem Gang zur Guillotine an Cagney in „Angels with Dirty Faces“ denken zu lassen, „der auf dem Weg in die Todeszelle gelassen blieb, um dann angesichts des elektrischen Stuhls um Gnade zu flehen“. Der Einfall hat nur einen Fehler: All diese Filme waren in Deutschland erst lange nach Hinrichtung des realen Werner Gladow zu sehen.