In Caspar David Friedrichs Fußstapfen: Wie Friedrich Nerly die Landschaftsmalerei weiter verzauberte

„Quasi suo concittadino“, „sozusagen einen Mitbürger“ nannte ihn die „Gazzetta di Venezia“ in ihrem Nachruf auf Friedrich Nerly. Er starb 1878, nachdem er 40 Jahre lang in Venedig gelebt und gearbeitet hatte.

Es war eine Zeit, da man noch nicht durch einfachen Wohnungswechsel Bürgerrechte erwerben konnte wie heutzutage, sondern sie sich verdienen musste.

Nerly hatte sich sein Venezianertum mehr als verdient. Denn er hatte die Stadt nicht nur unablässig gemalt, in glänzenden wie in abseitigen Ansichten, er hatte vielmehr überhaupt erst eine Vorstellung der Lagunenstadt geschaffen, die weithin gültig bleiben sollte.

Nicht, dass er Venedig gewissermaßen erfunden hätte; aber er hat den schemenhaften Bildern, die zu Venedig vorhanden waren, prägnanten Ausdruck gegeben.

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Friedrich Nerly wurde 1807 in Erfurt geboren, und das dortige Angermuseum – nach seiner Adresse in der Stadtmitte benannt – richtet ihm derzeit die umfassendste Retrospektive aus, die dem Maler je zuteil geworden ist.

Voraussetzung dafür ist der glückliche Umstand, dass der Sohn den Nachlass des Malers 1883 dessen Vaterstadt vermachte. Doch es brauchte bis jetzt, dass dieser gewaltige Schatz gehoben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte.

Stürzende Wasser: Die „Cascata Grande in Tivoli“ malte Friedrich Nerly im Jahr 1835.

© Angermuseum Erfurt

Wiewohl in vierjähriger Arbeit – einschließlich der Restaurierung zentraler Werke – vorbereitet, kommt die Ausstellung „Friedrich Nerly. Von Erfurt in die Welt“ gerade jetzt zu einem günstigen Zeitpunkt.

Das eben zu Ende gegangene Jubeljahr für Caspar David Friedrich hat das Sensorium für romantische Landschaftsmalerei im weitesten Sinne enorm gestärkt. Nerly ist kein Nachfolger Friedrichs – es gibt sie ohnehin nicht –, doch stellt seine Malerei eine folgerichtige Weiterentwicklung dar.

Berühmt wurde Nerly mit seinen Ansichten Venedigs im Mondschein – ein Motiv, das bei Friedrich eine große Rolle spielt, von Nerly jedoch jeglicher religiöser Konnotation entkleidet und zum touristischen Erkennungszeichen wird.

Damit geht Nerlys Lebensweg dem gesellschaftlichen Umbruch des 19. Jahrhunderts parallel, dem Heraufkommen der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrem Tourismus. Venedig wandelt sich vom Traumgebilde zum Reiseziel.

Und was die – lange Zeit noch ausschließlich begüterten – Reisenden erlebt hatten, wollten sie nach Hause tragen. Nerly liefert keine Veduten wie einst Canaletto, sondern Stimmungsmalerei: wie etwa der Mond die Piazzetta zwischen Markusplatz und Lagune bescheint, mit Schattenwurf und genauer Figurenzeichnung.

Draußen ankern Segelschiffe, auf dem Platz wandern – natürlich – nur Venezianer, und auch im berühmten Café Florian, dem ersten seiner Art, verkehren Einheimische, während es in Wahrheit Nerly war, der hier seine prospektiven Kunden empfing.

Andacht in den Höhen: Das Gemälde „Kloster im Gebirge bei Subiaco“ entstand um 1833/35.

© Angermuseum Erfurt

Im oberen der auf zwei Geschosse verteilten Ausstellung sind die Venedig-Ansichten zu sehen, darunter drei Piazzetta-Bilder von bis zu 36 Fassungen, die Nerly im Laufe von Jahrzehnten geschaffen haben dürfte.

Die Kuratoren Claudia Denk und Thomas von Taschitzki haben wahre Detektivarbeit geleistet, um die verstreuten Gemälde ausfindig zu machen und mit dem eigenen Schatz vorwiegend an Zeichnungen und Studien zu vereinen.

Genau das gereicht Nerly jedenfalls nach heutigen Maßstäben zum Vorteil. Denn während die ausgeführten Gemälde mit ihren Arrangements und Staffagefiguren leicht für historische Bühnenbilder gelten könnten, zeigt sich Nerly in den für eigenen Gebrauch gefertigten Zeichnungen und Studien als Künstler hohen Ranges.

Schon als junger Mann, als Halbwaise nach Hamburg geholt und dort ausgebildet, ehe er auf Reisen ging und ab 1828 zunächst sieben Jahre in Rom verbrachte, dieser Zweitheimat deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts, übt sich Nerly als Beobachte feinster Details.

Da zeigt sich ein Realismus, der dem etwa des Franzosen Corot nicht nachsteht, so in der perspektivisch gewagten Ansicht eines römischen Aquädukts in der Campagna. Seine Pflanzenstudien sind geradezu überwältigend exakt.

Licht und Schatten werden meisterlich eingesetzt, auch das schwierige Gegenlicht beherrscht Nerly perfekt. Vor allem aber: Nerly ist Freilichtmaler. Er geht hinaus und malt.

So auch ab 1837 in Venedig. Dort wendet er sich, neben prunkenden Gehabe an seinem Wohnsitz, dem Palazzo Grimaldi, dem Pittoresken zu, wie es eigentlich erst Zeitgenosse John Ruskin – der er gekannt haben dürfte – zum gängigen Venedig-Bild erhob.

Nerly zeichnet die vom Wasser angegriffenen Fundamente und bloßliegenden Mauern der Palazzi, hat den Blick für unbeachtete Inseln wie Sant Elena und für diejenigen, die einen seinerzeit dorthin brachten, die Gondoliere in ihren lackschwarzen Booten.

Diese auch in ihren oft gestreckten Formaten höchst eigenständigen Arbeiten sind es, die heute mehr ansprechen als die spätromantischen Topoi von Silbermond oder rotglühendem Sonnenuntergang.

Das Erfurter Publikum jedenfalls liebt „seinen“ Nerly, der Besuch ist rege, und angesichts der abwechslungsreichen Hängung der mal kleinen, dann wieder großen Formate kommt trotz der Fülle keine Ermüdung auf. Nerly ist ganz klar eine (Wieder-)Entdeckung.