Euphorische Melancholie
Wenn die Berliner Elektronikband Moderat zum Pressegespräch in ihrem Label-Office in Mitte lädt, ist das wie ein Besuch in einer WG. Die drei scheinen nur darauf gewartet zu haben, dass sie vor einem Gast Witze auf Kosten der anderen machen können, zwischendurch schlappt der Berghain-DJ Marcel Dettmann vorbei, der hier sein Studio hat, und auf dem Herd köchelt bereits eine Fischsuppe für alle.
Man bekommt nicht unbedingt den Eindruck, hier drei echten Weltstars gegenüberzusitzen. Dabei sind sie, wenngleich auch nicht unbedingt in U 2-Dimensionen, genau das. Viel höher hinaus als Moderat geht es für eine Elektronikband kaum. Ihre letzten beiden Alben landeten international in den Charts und erreichten in Deutschland sogar die Top Ten. Und zu ihrem bislang letzten Konzert, das sie 2017 vor einer fast fünf jährigen Pause in der ausverkauften Wuhlheide gaben, pilgerten 17 000 Leute.
Moderat machten fünf Jahre Pause als Trio
Dabei startete Moderat vor gut 20 Jahren eigentlich als Seitenprojekt von Gernot Bronsert und Sebastian Szary, die sich bereits als Modeselektor einen Namen gemacht hatten, und von Sascha Ring alias Apparat.
Doch aus einer Nebensache entwickelte sich bald ein echtes Monster, das kaum noch zu kontrollieren war. Auch Modeselektor und Apparat wurden mit den Jahren immer bekannter, doch der große Abräumer wurden die besonders wegen ihrer Konzerte mit gigantischer Lightshow beliebten Moderat.
Aber nur noch als Trio auftreten wollten sie auch nicht. Sascha Ring sagt, als sie vor fünf Jahren beschlossen, erst einmal wieder getrennte Wege zu gehen, sei ihnen das Moderat-Sein zunehmend eintönig und stumpf vorgekommen. „Es war noch nicht wirklich kritisch zwischen uns, aber wir haben gespürt, dass es langsam kritisch werden könnte. Es war irgendwann zu viel von dem einen. Wir haben die Band ja mal als Abwechslung gegründet, aber nach so vielen Jahren war das keine Abwechslung mehr.“
Also besannen sich alle auf die jeweils eigenen Dinge. Modeselektor nahmen drei weitere Alben auf, Apparat schrieb vor allem Soundtracks. In den ersten zwei Jahren Trennung habe man so gut wie nichts miteinander zu tun gehabt, so Sascha Ring. Doch dann habe eine langsame Annäherung begonnen.
„Zuerst haben wir geguckt, was so los ist bei uns, wo wir so stehen. Welche Musik hören und finden wir gerade gut?“ Im nächsten Schritt, so Ring weiter, habe man kühne Konzepte entwickelt, wie die nächste gemeinsame Platte klingen solle. Aber am Ende sei man dann doch einfach ins Studio gegangen und habe es laufen lassen.
Und nun erscheint mit „More D4ta“ das vierte Album der drei, das eben doch wieder nach Moderat klinge, sagt Ring, doch das sei auch gut so. „Die Sache, die zwischen uns dreien entsteht hat halt einen gewissen Klang. Würde man zu sehr forcieren, es anders klingen zu lassen, würde es zu gekünstelt, nicht mehr authentisch wirken.“
Mehr als nur eine Schnittmenge
Auf „More D4ta“ bekommt man also mehr von dem zu hören, was den typischen Moderat-Sound ausmacht: mächtige, teils fast trancige Klangskulpturen bauen sich auf, bei denen man nie recht weiß, ob diese eher das Gefühl von Euphorie oder doch von Melancholie erzeugen. Und zwischen den instrumentalen Tracks erhebt Sascha Ring in einigen der Stücke seine Stimme, so dass man irgendwann nicht mehr erkennen kann, wo hier Techno endet und Popmusik beginnt.
Moderat legen Wert darauf, mehr zu sein als nur irgendeine Schnittmenge. Gernot Bronsert erklärt: „Diese Band ist kein Projekt zwischen Modeselektor und Apparat. Sie besteht eher aus drei eigenständigen Typen, die ihre Egos in einem gemeinsamen Prozess mal draußen lassen.
Es geht darum, drei künstlerische und persönliche Universen miteinander beim gemeinsamen Abhängen im Studio zu verweben.“ Nicht zwei plus eins lautet also die Rechnung, sondern drei mal eins. Eine grobe Charakterisierung von allen dreien, die sich da miteinander verschmelzen wollen, nimmt Bronsert dankenswerter Weise gleich selbst vor: „Sascha ist der, der eigentlich abgeschlossen hat mit elektronischer Musik, aber dann doch der totale Elektronik-Nerd ist. Szary ist so der Kunsttyp, der sich auch Platten anhört, die man sich eigentlich gar nicht anhören kann. Und ich steh halt auf Rap.“ Er fügt hinzu, dass er einen 14-jährigen Sohn habe, der gerade eine Wu-Tang-ClanPhase durchmache, weshalb er daheim gerade viel mit Rap in Kontakt komme, den er sonst nicht unbedingt hören würde.
Der Lockdown ermöglichte eine neue Konzentration
Für die Arbeit am Album habe ihnen die Lockdownzeit geholfen, sagen die drei. Bronsert erklärt, dass der Plan, etwas aufzunehmen, immer wieder durchkreuzt wurde: „Wir haben früher dann doch noch irgendwo einen Gig gespielt, irgendwo aufgelegt, und dann musste Sascha doch noch einen Soundtrack aufnehmen.
Oder alles musste stehen- und liegenbleiben, weil Björk unbedingt einen Remix von uns wollte. Jetzt gab es eine Bremse. Und wir konnten uns wirklich auf die Musik konzentrieren.“
Die drei sind nun Mittvierziger, haben Kinder und eigene Karrieren. Sie teilen Gemeinsamkeiten, es gibt aber auch Unterschiede. Ring etwa nennt den Kunstpopklassiker „Spirit Of Eden“ von Talk Talk seine Lieblingsplatte, über die Bronsert sagt, sie hole ihn überhaupt nicht ab.
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Unterschiedliche Musikgeschmäcker
Ring wiederum lästert über Bronserts aktuellen Liebling, den britischen Rapper Slowthai. Und beide wiederum geben zu verstehen, dass sie mit dem Hyperpop-Act A. G. Cook, in den Sebastian Szary ganz vernarrt ist, nur bedingt etwas anfangen können. Aber diese Auffächerung von Geschmäckern und Vorlieben der drei Individuen könne das Fundament von Moderat niemals erschüttern, so Bronsert. „Die Gemeinsamkeit bleibt immer unsere Sozialisation mit Techno, Berlin, der Fall der Mauer – und dass wir alle drei aus dem Osten sind.“
[ „More D4Ta“ ist bei Monkeytown erschienen.]
Sie stehen nun vor dem nächsten Kapitel mit Moderat. Und sie machen genau dort weiter, wo sie vor fast fünf Jahren gestoppt haben. Schon in den nächsten Tagen gehen sie auf Tour, im Sommer folgen Auftritte bei Festivals. Im September gastieren Moderat erneut in der Wuhlheide, danach wird die USA bereist.
„Bis Ende des Jahres ist schon alles verplant“, sagt Bronsert. In dieser Zeit wird übrigens nichts von Apparat und Modeselektor zu vernehmen sein, das ist Gesetz. „Wir sind da sehr streng. Die Idee dahinter ist, ausschließlich im Mindset von Moderat zu bleiben“, betont Ring.
In dem bleiben sie dann wahrscheinlich genau so lange, bis alle drei wieder Abwechslung brauchen.