Nachruf auf Thomas Plenert: Der Meister des unaufgeregten Blicks
Auf die Frage, was einen guten Kameramann im Dokumentarfilm ausmacht, hat Thomas Plenert einmal geantwortet: Das bisschen durchgucken können viele. Dass es die wenigsten so gut konnten wie Thomas Plenert, ist keine Koketterie, sondern Ausdruck einer Könnerschaft, die sich nicht wortreich erklären musste, weil sie selbstverständlich war.
Wer zum Beispiel „Winter adé“ (1988) von Helke Misselwitz gesehen hat, wird die Szene nicht vergessen, in der Schichtarbeiterin Christine in der Brikettfabrik bei Altenburg ihren Rundgang macht: Jede Stunde klopft sie mit einem Hammer gegen die Ofenrohre, damit der Feinstaub sich nicht ablagert. Gedreht hat Plenert die ikonische Szene aus dem Stand: Der Zug hatte Verspätung, ein Taxi war nicht zu kriegen, das Schichtende nahte, und so schulterte Plenert bei Ankunft in der Fabrik die Kamera – er filmte, ohne zu wissen, was ihn erwartet.
Plenert dachte wie ein Regisseur
In dem dreiminütigen Gang steckt ein zarter Humor, weil es auch komisch ist, dass eine Arbeit darin besteht, gegen Rohre zu klopfen. Zugleich behält Christine, deren nüchterne Worte die Schwere eines Lebens bemänteln, ihre ganze Würde. So viel können gute Bilder erzählen.
Plenert war schon an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg ein Vorbild für die Jüngeren, für Lars-Peter Barthel, Julia Kunert, Peter Badel. Plenert arbeitete mit Jürgen Böttcher und Jörg Foth, Helke Misselwitz und Volker Koepp, aber vielleicht war es auch umgedreht: Die bekannten Regisseure arbeiteten in Wirklichkeit mit Thomas Plenert.
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Als Misselwitz in den achtziger Jahren überraschend die Möglichkeit bekam, ihren Film über Frauenleben in der DDR zwischen Zwickau und Kap Arkona zu realisieren, erzählte sie am Abend ihrer Freundin Gudrun Plenert davon. Aus der Küche mischte sich Thomas ein: Der Film würde „Winter adé“ heißen, und er werde die Kamera übernehmen. Weil Plenerts Frau Gudrun Schnittmeisterin war, dachte Plenert selbst wie ein Regisseur – und drehte Aufnahmen, die es für die gelingende Montage brauchte, auch wenn die Regie daran gar nicht gedacht hatte.
Der Spielfilmregisseur Lothar Warneke hat seine besten Filme mit Plenert gedreht, vor allem Die Beunruhigung von 1982, ein stilles Remake von Agnes Vardas „Cleo – Mittwoch zwischen 5 und 7“ (1962). Der Film folgt einer Frau, gespielt von Christine Schorn, durch den Tag, an dem sie ihre Brustkrebsdiagnose erhält und sich der Blick aufs Leben entsprechend wandelt.
Warneke suchte nach größerem Realismus und fand in Plenert den Kameramann, der ihm die dokumentarische Anmutung in die Fiktion brachte – mit einer Blimp- oder BL-Kamera, deren Schalldämmung das Drehen auf der Straße erleichterte, weil das Laufgeräusch des Filmmaterials unterdrückt wurde.
Die leise Technik passt auch deshalb so gut zu Plenert, weil sie für das Aufheben steht, das der Kameramann eben nicht um seine Person machte. Der berühmteste Film, an dem er mitwirkte, kommt ohne einen Credit für ihn aus. Wim Wenders wollte 1987 für „Der Himmel über Berlin“ auch Szenen aus dem Ostteil der damals noch geteilten Stadt – und landete über Kontakte bei Plenert. Ein klandestines, für den Kameramann nicht ungefährliches Unterfangen, der deshalb auch auf seinen Namen im Abspann verzichtete.
So wurde Plenert schon vor der Einheit zu einem gesamtdeutschen Kameramann – einem der besten, originellsten und klarsten. Nur die Mauer, vor der Bruno Ganz und Otto Sander im Westteil des Films immerfort herumzuspazieren, konnte er damals nicht filmen. Man kam von der Ostseite nicht ran, wie er im letzten Jahr in seiner unaufgeregten Art in Leipzig erzählte. Am 15. Juli ist Thomas Plenert in Mecklenburg nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben.