Die Kulisse spielt wieder mit

Auf den Rängen wurde getanzt und gesungen, ein letztes Mal erreichte der Lautstärkepegel an diesem Abend bemerkenswerte Höhen. Und das lag nicht daran, dass vom Rasen orangefarbene Bälle als Geschenke ins Publikum geschossen wurden. Es lag daran, dass die Spieler von Borussia Mönchengladbach ein paar Minuten nach dem Abpfiff ihre Schlussrunde durch ihr immer noch gut gefülltes Stadion drehten.

„Die Atmosphäre war genial“, sagte Adi Hütter, der neue Trainer von Borussia Mönchengladbach, nach dem 1:1 seiner Mannschaft gegen den Deutschen Meister Bayern München. Und selbst Robert Lewandowski von der Gegenseite fand die Stimmung beim Eröffnungsspiel der 59. Spielzeit in der Fußball-Bundesliga „richtig geil“.

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Nach anderthalb Jahren Pandemie und einer schleichenden Gewöhnung an die gespenstische Ruhe der Geisterspiele hatte es ja durchaus eine leichte Ungewissheit gegeben, wie sich der erste Schritt Richtung Normalität wohl anfühlen würde: Kehren die Fans wirklich voller Vorfreude zurück? Oder haben sie sich vom Fußball entfremdet und nehmen erst einmal eine abwartende Haltung ein?

Das Auftaktspiel der neuen Saison gab eine erste, wenn auch längst nicht repräsentative Antwort – weil gegen Bayern München in der Regel auch die Fans gern ein bisschen mehr machen als in anderen Spielen.

Die Fans nehmen wieder Einfluss aufs Spielgeschehen

So viele Zuschauer beim Fußball – 22.295 waren es am Freitagabend – hat es seit 17 Monaten in Deutschland nicht mehr gegeben. Nahezu jeder zweite Platz im Borussia-Park war besetzt. Aber dass es nur jeder zweite Platz war, das ging im Trubel auf den Rängen weitgehend unter. Im Stadion der Gladbacher hat es schon Spiele mit voller Auslastung gegeben, bei denen es weniger euphorisch zugegangen ist, selbst gegen die Bayern.

Dass die Fans jetzt wieder ein Faktor sind, der Einfluss auf das Spiel nimmt – das ist die erfreuliche Nachricht zum Auftakt der neuen Saison. „Wir haben einen schönen Ritt gesehen“, sagte Gladbachs Trainer Hütter. „Die Kulisse hat auch ihren Teil dazu beigetragen.“ Nach einem guten Start geriet sein Team zwischenzeitlich gegen die immer stärker werdenden Bayern arg in Bedrängnis. Am Ende aber, angetrieben von der Kulisse, fanden die Borussen zurück ins Spiel, hatten gute Chancen und fühlten sich in der Schlussphase um mindestens einen, wenn nicht gar zwei Elfmeter betrogen.Jul

Noch nicht perfekt. Für Julian Nagelsmann bleibt als Trainer der Bayern noch einiges zu tun.Foto: REUTERS

Intensiv und aufregend war es, intensiver und aufregender, als es den Beteiligten womöglich lieb war. „Es ist meistens kein gutes Zeichen für beide Trainer, wenn es hin und her geht“, sagte Julian Nagelsmann nach seinem ersten Pflichtspiel als Trainer der Bayern. „Es war recht wild, recht zerfahren.“

Nagelsmann hat grundsätzlich andere Vorstellungen von einem idealen Fußballspiel, aber bis die zur vollen Wirkung gelangen, wird es vielleicht noch ein bisschen dauern. Die Vorbereitung mit seinem neuen Team war kompliziert. Durch die EM standen ihm viele wichtige Spieler erst verspätet zur Verfügung, in den Testspielen musste er vermehrt auf Nachwuchskräfte zurückgreifen, und dann wurde auch noch die Erstrundenpartie im DFB-Pokal verschoben, in der sich seine Mannschaft unter Wettkampfbedingungen ein bisschen hätte einspielen können. „Wir hatten nicht viel Zeit, Dinge einzustudieren“, erklärte Bayerns Mittelfeldspieler Leon Goretzka. „Dass heute noch nicht alles funktioniert hat, das ist selbstredend.“

Nagelsmann soll langfristig etwas aufbauen

Dass Nagelsmann mit den erfolgsgewohnten Bayern in der Vorbereitung kein einziges Mal gewonnen hat, hat manchen schon in seiner grundlegenden Skepsis bestätigt, ob das in dieser Kombination tatsächlich funktionieren kann: Ist Nagelsmann mit seinen 34 Jahren nicht viel zu jung für diesen Job? Zu unerfahren auch im Umgang mit den ganz großen Stars und deren Egos? Wahrscheinlich wären nach einer Niederlage in Gladbach schon die ersten abschließenden Urteile über sein unbefriedigendes Wirken in München gesprochen worden.

Über fünf Jahre läuft Nagelsmanns Vertrag bei den Bayern, 15 Millionen Euro – vielleicht sogar ein bisschen mehr – hat sich der Klub seine Verpflichtung kosten lassen. Das Projekt mit dem neuen Trainer ist also eher langfristig angelegt. „Da kriegen wir schon noch eine bessere Struktur rein“, sagte Nagelsmann selbst über den Zustand seiner Mannschaft.

Er weiß, „dass wir noch ein paar Schritte gehen müssen“. Und er weiß, dass die Bedingungen erst einmal kompliziert bleiben. Unter der Woche steht bereits das Supercup-Spiel gegen den Pokalsieger Borussia Dortmund an, eine Woche darauf die ausgefallene Pokalpartie beim Bremer SV, und dann folgt erst einmal die Länderspielpause. Viel Zeit für ausgedehnte Trainingseinheiten bleibt bei diesem Terminkalender nicht. „Ich würde schon gerne mehr trainieren“, sagte Julian Nagelsmann, „weil ich ein Trainer bin, der Training für sehr, sehr wichtig ansieht.“