Steve von Bergen über seine Zeit bei Hertha BSC: „Die drei Jahre in Berlin haben mir unglaublich viel gegeben“

Herr von Bergen, wie ist es, der Chef von Fabian Lustenberger zu sein?
(Lacht) Das ist ja mal eine gute Frage zum Start. Jeder weiß, dass unser gemeinsames Abenteuer bei Hertha BSC in Berlin begonnen hat. Das ist jetzt – mein Gott – fast 20 Jahre her. Bei Hertha hat sich eine Freundschaft entwickelt, die bis heute besteht. Als Fabian 2019 zu den Young Boys nach Bern gekommen ist, habe ich mich sehr gefreut. Das war ein sehr schöner Moment.

Als Sportdirektor der Young Boys haben Sie Lustenbergers Vertrag gerade noch einmal um ein Jahr verlängert. Wie waren die Verhandlungen mit ihm?
Das war für uns beide schon eine komische Konstellation, als wir in meinem Büro am Tisch saßen und uns gesagt haben: Okay, jetzt müssen wir übers Geschäft reden und unsere Freundschaft für ein paar Minuten zur Seite schieben. Aber wir haben das gut und professionell geregelt. Trotzdem war es keine einfache Entscheidung.

Warum nicht?
Fabian ist jetzt 35, und vor einem halben Jahr wusste er selbst noch nicht, ob er weitermacht oder nicht. Mir war wichtig, dass er wirklich überzeugt ist. Am Ende hat er gesagt: Ich bin fit, ich bin hungrig und will unbedingt noch spielen.

Und er hat Sie nicht über den Tisch gezogen? Oder Sie ihn?
Nein, das waren sehr einfache Verhandlungen.

Sie kennen sich seit mehr als anderthalb Jahrzehnten, sind im Sommer 2007 fast gleichzeitig aus der Schweiz zu Hertha BSC gekommen. Welche Erinnerungen haben Sie noch an die ersten gemeinsamen Wochen in Berlin?
Wir haben anfangs zusammen in einem Hotel im Tiergarten gewohnt. Das war schon ein bisschen komisch, wir beide allein in diesem Hotel. Und Fabian war fast noch ein Kind, gerade 19 geworden.

Aber es hat von Anfang an sehr gut gepasst. Wir haben uns da gefunden. So kann man das sagen. Dass ich fünf Jahre älter bin als er, hat jedenfalls keine Rolle gespielt. Wenn du im Ausland bist, ist es ganz normal, dass du den Kontakt zu deinen Landsleuten suchst. So war das auch bei uns.

Damals, im Jahr 2007, waren sie noch Kollegen. Jetzt ist Steve von Bergen (rechts) als Sportdirektor von Young Boys Bern der Vorgesetzte von Fabian Lustenberger.
Damals, im Jahr 2007, waren sie noch Kollegen. Jetzt ist Steve von Bergen (rechts) als Sportdirektor von Young Boys Bern der Vorgesetzte von Fabian Lustenberger.
© imago/Contrast

Herthas neuer Trainer Lucien Favre war auch ein Landsmann. Er hatte Sie schon beim FC Zürich trainiert und Sie dann zu Hertha nachgeholt. War das für Sie eine schwierige Konstellation?
Ich habe mir das nicht so kompliziert vorgestellt. Wenn ich gut gespielt habe, war es okay. Wenn ich schlecht gespielt habe, hieß es: Das ist der Spieler des Trainers. Das habe ich ein bisschen unterschätzt.

Für ihn gab es nur Fußball, Fußball, Fußball … 

Steve von Bergen über seinen Trainer Lucien Favre

Der Tagesspiegel hat damals geschrieben, Sie sollten eine Art Dolmetscher sein für Favres Ideen vom Fußball.
Das war tatsächlich ein bisschen Luciens Idee. Er hatte mich schon aus meiner Heimatstadt Neuchâtel nach Zürich geholt, wo wir mit dem FCZ zweimal Schweizer Meister geworden sind. Hertha hatte damals zwei tolle Innenverteidiger …

… Arne Friedrich und Josip Simunic …
… und trotzdem wollte Favre für die Abwehr noch einen Spieler haben, der seinen Fußball schon kannte, und der versteht, was er will. So ist er auf mich gekommen. Aber wir hatten in Berlin kein besonders enges Verhältnis.

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mal bei ihm im Trainerbüro war. In Zürich hatten wir einen viel intensiveren Austausch. Es war für uns beide wichtig zu zeigen: Wir sind keine Kumpels. Wir waren auch nie per Du. Noch heute, wenn wir mal telefonieren, siezen wir uns.

Haben Sie noch Kontakt?
Selten. Als er Trainer in Nizza war, habe ich ihm einige SMS geschrieben. Und er hat mich angerufen, als ich meine Karriere beendet habe.

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Bundesligaspiele hat von Bergen für Hertha BSC bestritten.

Wie haben Sie Favre in seiner Anfangszeit bei Hertha erlebt?
Bis dahin hatte Lucien Favre nur in der Schweiz gearbeitet. Berlin war für ihn eine andere Welt. Ein Traditionsverein mit großem Namen, dazu die Medienlandschaft und der öffentliche Druck. Ich glaube, er musste erst lernen, sich zu schützen. Favre wollte unbedingt so spielen wie in Zürich. Im zweiten Jahr hat es super geklappt. Aber auch er brauchte eine Eingewöhnungszeit.

Auf viele wirkte Favre damals wie ein Nerd.
Für ihn gab es nur Fußball, Fußball, Fußball … Fußball ist sein Leben. Wahrscheinlich ist er um sechs Uhr aufgestanden und hat als Erstes an Fußball gedacht. Das war mehr als eine Leidenschaft. Und ist es immer noch, oder? Lucien Favre überlegt ständig, wie er noch etwas entwickeln und eine Mannschaft besser machen kann.

Sie sind am Anfang Ihrer Karriere zweimal mit Zürich Meister geworden und später noch zweimal mit Young Boys Bern. Welchen Rang nimmt da Ihre Zeit bei Hertha ein?
Ich komme aus dem französischsprachigen Teil der Schweiz und war dort als Kind vermutlich der Einzige weit und breit, der die Bundesliga geschaut hat. Alle anderen haben sich für die französische Liga interessiert. Damals war es noch nicht so, dass man im Klub in einheitlichen Klamotten trainiert hat. Man hat zum Training seine eigenen Trikots mitgebracht und angezogen. Ich habe immer eins aus Deutschland getragen.

Zwei Schweizer in Berlin. Von Bergen mit Lucien Favre (rechts). Im Hintergrund Herthas heutiger Trainer Pal Dardai.
Zwei Schweizer in Berlin. Von Bergen mit Lucien Favre (rechts). Im Hintergrund Herthas heutiger Trainer Pal Dardai.
© imago sportfotodienst

Welches?
Ich hatte ein Dortmund-Trikot von Stéphane Chapuisat. Für einen Schweizer nicht ungewöhnlich. Aber ich hatte auch ein Nationaltrikot von Oliver Bierhoff. (Lacht) Ja, das ist krass.

Bierhoff hatte Deutschland immerhin 1996 zum EM-Titel geschossen.
Trotzdem haben mich alle ausgelacht. Das war in der großen Zeit des französischen Fußballs, als Frankreich 1998 Weltmeister geworden ist und alle von Zidane geschwärmt haben. Aber für mich war es immer ein Traum, in der Bundesliga zu spielen. Der Wechsel zu Hertha, das war krass. Und dann noch Berlin, diese riesige Stadt.

Die drei Jahre haben mir – bei allen sportlichen Höhen und Tiefen – unglaublich viel gegeben. Ich habe mich als Mensch geöffnet. Ich habe verstanden, was es bedeutet, in einer Stadt mit so viel Tempo, mit so viel Multikulti zu leben. Mit dem Abstand von fast 15 Jahren muss ich dankbar sein und sagen, dass das ein wichtiger Schritt in meinem Leben war, nicht nur als Fußballer.

Wir hatten einfach Freude am Fußball. Wir sind wirklich jeden Tag zum Training gekommen und wussten: Heute werden wir Spaß haben. 

Steve von Bergen über die erfolgreiche Saison 2008/09

Auch in Berlin hätte es fast mit der Meisterschaft geklappt.
Ja, Wahnsinn. Wir haben großartigen Fußball gespielt, und am Ende der Saison war das Olympiastadion, ich glaube, vier- oder fünfmal nacheinander ausverkauft. Oder fast ausverkauft. Wir hatten ein tolles Team, allein der Sturm mit Raffael, Pantelic, Woronin. Es ist einfach super gelaufen – bis zum letzten Spiel gegen Karlsruhe.

Das Hertha 0:4 verloren hat.
Trotzdem denke ich sehr gerne an die Saison zurück. Es hat mit Ausnahme des letzten Spiels einfach Spaß gemacht.

Von den Namen her musste diese Mannschaft nicht zwingend um den Titel mitspielen.
Nee, nee, auf keinen Fall.

Was war es dann, was Hertha ausgezeichnet hat?
Nach einem Jahr hatten die Spieler verstanden, was Lucien Favre wollte. Und sie haben seine Ideen dann auch umgesetzt. Das hat den Unterschied ausgemacht. Und wir hatten einfach Freude am Fußball. Wir sind wirklich jeden Tag zum Training gekommen und wussten: Heute werden wir Spaß haben.

Das ist schon ein großes Plus. In der Saison darauf war es genau umgekehrt. Da hast du verloren, verloren, verloren … Und dann kommst du zum Training, ohne Selbstbewusstsein und ohne Vorfreude. Aber auch das war für mich eine wichtige Erfahrung.

Inwiefern?
Da habe ich gelernt, dass im Fußball alles sehr schnell gehen kann. Im Frühjahr waren wir – ich glaube, das kann man so sagen – kleine Helden und nur ein halbes Jahr war alles ein Desaster. Das war eine wichtige Lektion für mich, auch für meine jetzige Tätigkeit als Sportdirektor.

Alles ist sehr fragil, und wir müssen jeden Tag daran arbeiten, im Gleichgewicht zu bleiben. Aktuell sind wir erfolgreich mit YB, aber das kann schnell wieder vorbei sein. Das habe ich zum ersten Mal in Berlin erfahren.

Für mich war es eine große Ehre gewesen, in der Bundesliga zu spielen. 

Steve von Bergen über seine Zeit bei Hertha BSC

Maximilian Nicu hat einmal über die Saison 2008/09 gesagt: Es lief lange richtig gut, bis Favre angefangen hat, Fehler zu machen.
Wir sind alle ein bisschen Trainer, die im Nachhinein sagen: Ich hätte das oder das anders gemacht. Aber das ist mir zu einfach. Die, die es regeln müssen, das sind die Spieler, die auf dem Platz stehen.

Ein Jahr nach der berauschenden Saison ist Hertha als Tabellenletzter abgestiegen.
Nicht nur für Hertha, auch für mich ist die Saison sportlich nicht gut gelaufen. Ich war lange verletzt, hatte einen Bandscheibenvorfall und konnte nur mit Schmerzen trainieren. Aber ich wollte unbedingt, weil die WM in Südafrika mein großes Ziel war.

Nach dem Abstieg haben Sie den Verein verlassen. Hat Hertha versucht, Sie zu halten?
Mein Vertrag war nach drei Jahren ausgelaufen, und ich glaube, Hertha wollte nicht unbedingt verlängern. Ich auch nicht. Für mich war es eine große Ehre gewesen, in der Bundesliga zu spielen. Aber als Verteidiger wollte ich auch einmal Italien erleben, diese Mentalität zu verteidigen, für die der italienische Fußball berühmt ist.

Seit Januar, Februar wusste ich, dass ich es in Italien probieren möchte. Das war mein Ziel. Aber es war schwierig, einen Klub zu finden. Viele Vereine haben gesagt: Der kommt aus Deutschland, das ist taktisch ein Problem, und dann ist er auch noch mit seiner Mannschaft abgestiegen. Trotzdem hat es dann nach der WM mit Cesena geklappt.

Jetzt ist Hertha wieder abgestiegen. Wie sehr hat Sie das noch berührt?
Dass du deine Ex-Vereine noch verfolgst, das ist doch klar. Ich interessiere mich immer noch für die Bundesliga, und Hertha spielt eine besondere Rolle für mich. Ich schaue jedes Wochenende, wie die Mannschaft gespielt hat.

Können Sie aus der Distanz einschätzen, was in den vergangenen Jahren schiefgelaufen ist?
Wenn du absteigst, gibt es dafür nicht nur einen Grund. Aber ich bin zu weit weg, um zu beurteilen, was intern passiert ist.