Boris Becker in Londoner Prozess schuldig gesprochen
Nach zähen Stunden des Wartens auf den zugigen Fluren des Southwark Crown Court geht auf einmal alles ganz schnell. Einer der Geschworenen im Londoner Strafprozess gegen Boris Becker erhebt sich und rattert im Sekundentakt die einstimmige Entscheidung der Jury in 24 Punkten der Anklage herunter.
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Viermal lautet das Urteil: „schuldig“. Die Laienrichter sind überzeugt: Der Ex-Tennisstar hat Teile seines Vermögens im Insolvenzverfahren bewusst nicht vollständig angegeben. Nach Ansicht der Jury hat er unter anderem eine Immobilie in Leimen verschleiert und unerlaubterweise hohe Summen auf andere Konten überwiesen.
Nur wenige Zentimeter trennen Boris Beckers Gesicht von der Glasscheibe, vor der die Worte gesprochen werden, die über seine Zukunft entscheiden. Der junge Mann, der im Namen der gesamten Jury das Urteil verkündet, trägt ein schwarzes T-Shirt, Becker Nadelstreifenanzug. Das Gesicht des Ex-Profis ist gerötet, der Blick fest nach vorn gerichtet.
Theoretisch drohen Becker bis zu sieben Jahre Haft. Ob er tatsächlich hinter Gittern landet, entscheiden nicht die elf Geschworenen, sondern die Berufsrichterin.
Bis zum 29. April geht das große Zittern weiter, dann will Richterin Deborah Taylor ihr Strafmaß verkünden. Becker kann danach noch immer Einspruch einlegen – sowohl gegen den Schuldspruch als auch gegen das Strafmaß.
Verteidiger nennt Becker naiv, aber unschuldig
Die Anklage hatte Becker in 24 Anklagepunkten vorgeworfen, in seinem Insolvenzverfahren Teile seines Vermögens – darunter Immobilien, Konten und einige der wichtigsten Trophäen seiner Karriere – verschleiert zu haben und die Schuld seinen Beratern zuzuschieben, die sich ihm zufolge um seine Finanzen gekümmert haben.
Becker selbst stritt die Vorwürfe ab. Sein Verteidiger erklärte, sein Mandant sei zwar naiv, aber unschuldig. Es sei kein Verbrechen, sich auf Berater zu verlassen. In 20 von 24 Punkten folgte die Jury dieser Argumentation.
Doch der Schuldspruch in vier Punkten könnte ausreichen, um Beckers Leben zu verändern. Staatsanwältin Rebecca Chalkley, die den Angeklagten im Prozess scharf angriff, zeigt sich erleichtert. Ob sie zufrieden damit sei? „Ja, bin ich“, sagt sie auf Nachfrage und nickt lächelnd.
Auch für Chalkley gehen Tage zu Ende, die zuletzt fast ausschließlich aus Warten bestanden. „Daran gewöhnt man sich nie, egal, wie oft man es macht“, gab sie im Laufe der Woche zu. Seit Mittwochnachmittag hatten die Geschworenen diskutiert, allen anderen blieb nichts anderes übrig, als auf das ersehnte Lautsprechersignal zu warten. Lediglich die Farbe der Anzüge von Boris Becker wechselte noch, Mittwoch schwarz, Donnerstag graublau, Freitag dunkelblau.
Kein Kommentar vom Tennisstar
Nach dem Urteil bleibt Becker, der tagein tagaus draußen Blitzlichtgewitter über sich ergehen ließ, schmallippig. Auf Reporterfragen antwortet er nicht. Seine Strategie, sich auf seinen Namen und die Erfolge seiner Vergangenheit zu verlassen, ist vorerst ans Ende gekommen.
Auf dem schnellsten Wege macht er sich am Freitagnachmitag mit seiner Freundin und seinem Sohn Noah im Taxi auf den Weg. Beide hatten ihn in den Tagen des Zitterns im Gericht unterstützt und mit ihm stundenlang ausgeharrt.
Eine Zigarette vor dem Eingang oder ein Sandwich vom Gerichtskiosk im Erdgeschoss – mehr Abwechslung gab es zuletzt nicht im Leben des einst so glamourösen Stars, der sich sonst eher in den nobleren Vierteln der Metropole aufhält. Wenige Minuten bevor er über die Lautsprecher zur Urteilsverkündung in den Saal gerufen wurde, saß der Wahl-Londoner noch auf einem Stuhl am Ende eines Flures, die Augen geschlossen und die Beine auf den fleckigen, roten Teppichboden ausgestreckt.
Tagein, tagaus hatte Becker zuvor seit Beginn des Prozesses vor knapp drei Wochen im für den Angeklagten reservierten Glaskasten in der Mitte des Gerichtssaals 3 gesessen. Ob sein künftiger Aufenthaltsort wohnlicher sein wird, ist fraglich. (dpa)