„Im vollen Olympiastadion zu gewinnen, wäre ein tolles Gefühl“

Sheraldo Becker, 27, entstammt der berühmten Ajax-Fußballschule. 2019 wechselte der Niederländer zu Union und erzielte seither fünf Tore. Vor dem Derby am Samstag im Olympiastadion haben wir mit dem Stürmer gesprochen.

Herr Becker, was ist schöner: ein Derby vor den eigenen Fans zu gewinnen – oder im fremden Stadion?
Ein Heimspiel zu gewinnen ist immer schön, aber so ein Spiel wie am Samstag vor einem vollen Olympiastadion zu gewinnen: das wäre ein tolles Gefühl. Einerseits muss man das wie jedes andere Spiel angehen, weil wir jedes Spiel gewinnen wollen. Aber ich bin jetzt seit drei Jahren in Berlin, und ich spüre schon, dass das Derby eines der wichtigsten Spiele des Jahres ist – für die Fans, für den Klub, für alle.

Hertha kämpft um den Klassenerhalt, Union hat letztes Wochenende mit einem Sieg gegen Köln das Saisonziel 40 Punkte erreicht. Kommt das Derby jetzt zu einem guten Zeitpunkt?
Ja, es kommt gelegen, weil wir am letzten Wochenende endlich wieder gewonnen haben, und wir sind alle jetzt gut gelaunt. Es war in den letzten Wochen schon schwierig, weil wir gut gespielt, aber trotzdem nicht gewonnen haben. Wir haben viele Chancen kreiert, und trotzdem keine Tore geschossen. Gegen Köln war es anders herum: wir haben wenig kreiert und trotzdem gewonnen. Das war wichtig.

Wie sehr hat es die Mannschaft verunsichert, dass sie in den vorigen sieben Spielen nur einmal gewinnen konnte?
Für uns war die Situation nicht neu. Auch im ersten und im zweiten Bundesliga-Jahr hatten wir solche Phasen, in denen es für uns als Team schwierig war. Aber wenn man kämpft, und miteinander spricht und gemeinsam arbeitet, dann kommen die Punkte irgendwann. Das haben wir in den letzten Wochen getan.

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Der Klassenerhalt ist damit so gut wie sicher: jetzt sollen neue Ziele gesetzt werden. Wie realistisch ist es, auf einen internationalen Platz zu landen oder den Pokal zu gewinnen?
Wir glauben schon, dass beides möglich sind. Wenn man daran glaubt, dann ist es möglich. Am Anfang der Saison hatten wir die 40-Punkte-Marke als Ziel gesetzt. Wir wollten in der Liga bleiben, und erst danach darüber sprechen, ob mehr möglich ist. Nun haben wir diesen Punkt erreicht, wo wir darüber sprechen können. Im Pokalhalbfinale wird es natürlich ein schweres Spiel gegen Leipzig sein, aber wir wollen ins Finale kommen, und wir wollen das Finale gewinnen.

In der Liga war Union auch im vergangenen April in einer sehr ähnlichen Situation: ungefähr 40 Punkte, Platz sieben. Am Ende qualifizierten Sie sich für die Conference League.
Ja, aber man muss auch auf die anderen Mannschaften schauen. Dieses Jahr ist es anders, weil so viele Mannschaften so gut spielen und Punkte holen. Letztes Jahr war das nicht unbedingt so. Wir hatten damals das Gefühl, dass wir nur einige Siege brauchen würden, um die internationalen Plätze zu erreichen. Wir wollen so viele Punkte wie möglich holen, und dann schauen, wo wir landen.

Gegen Köln sahen Sie ziemlich genervt aus, als Sie in der 72. Minute ausgewechselt wurden…
Das kann ich erklären. Als Spieler will man der eigenen Mannschaft immer helfen, und auf meiner Position hast du immer das Gefühl, dass du nur noch eine Chance brauchst. Der Trainer sagte mir: Du darfst dich ärgern, das ist normal. Aber am Ende macht er die Entscheidung für die Mannschaft, es geht nicht um mich. Das habe ich dann akzeptiert.

Mit Trainer Urs Fischer führt Becker offene Gespräche.Foto: Imago

Wie ist Ihr Verhältnis zum Trainer generell?
Er ist sehr offen, man kann immer mit ihm über alles sprechen, und ich spreche viel mit ihm. Ich bin vom Typ her ein ziemlich emotionaler Spieler. Jedes Mal, wenn ich verliere – sogar bei einem Vier-gegen-Vier im Training – bin ich am nächsten Tag immer noch genervt. Aber der Trainer hilft mir sehr viel, sowohl auf dem Platz als auch neben dem Platz.

Im vergangenen Oktober haben Sie in einem Interview Ihren Frust geäußert, dass Sie nicht öfter in der Startelf spielen.
Damals habe ich nicht so oft gespielt, und ich war schon frustriert. Dann kam das Interview, und ich musste doch sagen, was in meinem Herzen war. Wie gesagt: ich bin ein emotionaler Spieler, und manchmal mache ich einfach Dinge, die nicht unbedingt gut sind. Ich habe danach mit dem Trainer gesprochen, und wir waren uns einig, dass sowas nicht nochmal passiert.

Haben Sie damals wirklich über einen Wechsel im Januar nachgedacht?
Gute Frage. Im Fußball weiß man ja nie. Wenn man nicht spielt, und es kommt eine andere Möglichkeit, dann denkt man vielleicht darüber nach. Andererseits bin ich seit zweieinhalb Jahren hier, und ich wusste, dass der Trainer es sehen wird, wenn ich hart arbeite und mich im Training zeige. Es war nicht wirklich in meinem Kopf, den Verein zu verlassen.

Seit dem überraschenden Wechsel von Max Kruse spielen Sie jetzt eine größere Rolle. Haben Sie sich heimlich gefreut, als er den Klub verließ?
Wenn man öfter spielt, dann übernimmt man mehr Verantwortung, und das will ich auch tun. Aber ich habe mich nicht gefreut, weil ich auch mit Max ganz oft gespielt habe, und das war damals für mich und für ihn sehr gut. Er ist ein sehr kluger Spieler, der uns viel geholfen hat, doch er hat seine Entscheidung getroffen. Wir zeigen allen jetzt, dass wir auch ohne ihn sehr, sehr gute Spieler haben.

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Sie haben nun eine ganz wichtige Partnerschaft mit Taiwo Awoniyi. Wie hat sich Ihr Verhältnis zu ihm über die letzten zwei Jahre entwickelt?
Am Anfang war es schwierig, weil wir nie zusammengespielt hatten. Für mich war es auch schwer, weil ich eher als Flügelspieler und selten als Stürmer gespielt habe, und da musste ich neue Sachen lernen. Aber das Wichtigste im Fußball ist, dass man miteinander redet, und das haben wir getan. Jetzt arbeiten wir sehr gut zusammen. Mittlerweile reicht zwischen uns nur ein sehr kurzer Blick, und dann weiß ich genau, was er vorhat und wo er hinlaufen will. Wobei ich auch sagen muss, dass wir mehr Tore machen sollten.

Es wird aktuell sehr viel über Awoniyis Zukunft spekuliert. Wie ärgerlich wäre es für Sie, diese Partnerschaft im Sommer aufgeben zu müssen?
Das wäre schon hart. Jeder Spieler ist anders, und man muss ein gutes Verhältnis erst einmal aufbauen. Man muss daran in der Vorsaison arbeiten, und viel miteinander sprechen. Ich spiele nun seit langem mit Taiwo und ich kenne seine Stärken. Seine Tore, aber auch seine Kraft und seine Schnelligkeit würden uns schon fehlen.

Harmonieren immer besser: Sheraldo Becker und Taiwo Awoniyi (rechts).Foto: Imago

Und wie sieht bei Ihnen die Zukunft aus? Ihr Vertrag läuft nur bis 2023: ist ein Abgang im Sommer möglich?
Darüber mache ich mir noch keine Gedanken, weil ich erst einmal auf den Rest der Saison fokussieren möchte. Wir haben einige große Spiele vor uns, und das ist auch für uns als Spieler sehr wichtig. Es ist auf jeden Fall nicht so, dass ich sage: ich will keinen neuen Vertrag unterschreiben. Aber wir werden sehen, was im Sommer passiert. Wenn etwa ein Klub aus der Premier League mit einem Angebot kommen würde, dann müsste man natürlich darüber nachdenken. Aktuell ist das aber nicht in meinem Kopf. Ich bin in Berlin glücklich, meine Familie ist hier, mein Sohn geht hier zur Schule. Eine Entscheidung zu treffen, ist einfach. Die richtige Entscheidung zu treffen, ist hingegen schwer.

Neben den Abgängen von Spielern wie Kruse und Marvin Friedrich wurden zuletzt auch viele Entscheidungen getroffen, was die Kaderplanung für die nächste Saison angeht. Spieler wie Robin Knoche und Christopher Trimmel haben verlängert, während Grischa Prömel nun zu Hoffenheim wechseln wird. Hat das ein Einfluss auf der Stimmung in der Kabine?
Nein, das gehört zum Fußball-Geschäft dazu. Das Wichtigste ist, dass die Spieler, die nicht verlängern, immer noch 100 Prozent geben. Das sieht man etwa bei Grischa. Er ist ein großartiger Spieler, der für uns auf und neben dem Platz sehr wichtig ist. Jetzt wird er den Klub im Sommer verlassen, und wir werden ihn vermissen. Aber er gibt weiterhin alles im Training und in den Spielen. So muss man das auch machen.