Dem 1. FC Union bleibt nicht viel Zeit für Enttäuschung
Schon vor dem Anpfiff gingen die Spieler des 1. FC Union kurz zur Eckfahne, um sich von den mitgereisten Fans feiern zu lassen. Nach Abpfiff gingen sie wieder dahin – und blieben dieses Mal deutlich länger. Noch eine gute Viertelstunde nach dem Spiel konnte man hören, wie der Gästeblock seine Helden besang. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – die Berliner im ersten Gruppenspiel der Conference League mit 1:3 besiegt worden sind, und damit zum ersten Mal seit Mai ein Pflichtspiel verloren haben.
Zwar ist es mittlerweile so, dass Union vor fast keinem Gegner Angst haben muss. Allerdings ist man immer noch nicht derart vom Erfolg verwöhnt, dass man eine Niederlage gegen einen regelmäßigen Europapokalteilnehmer gleich zur Staatskrise erklärt.
Vielmehr wollte man am Donnerstagabend in Prag das Ganze einfach genießen und aufsaugen, sowohl auf den Rängen als auch auf dem Platz. Schließlich war die Niederlage auch deutlich knapper, als das Ergebnis zu ahnen gab. Die Mannschaft hatte sich vor allem in der zweiten Hälfte sehr gut verkauft. „In erster Linie ist immer wichtig, in welcher Art und Weise man verliert“, sagte Kapitän Christopher Trimmel nach dem Spiel. „Die Art und Weise war heute in Ordnung. Fehler gehören zum Fußball dazu, aber insgesamt war es keine schlechte Leistung.“
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Ähnlich zuversichtlich gab sich auch Urs Fischer. „Wir haben ein Spiel verloren, aber es stehen noch fünf an. Es sind noch viele Punkte zu vergeben“, sagte Unions Schweizer Trainer, als er zur Ausgangslage in der Gruppe gefragt wurde. Allerdings hat man diese Woche schon den ersten Vorgeschmack davon bekommen, wie hart es in den nächsten Monaten noch werden könnte. Das liegt in erster Linie nicht an den Aufgaben an sich. Wenn sie weiterhin so spielen wie am Donnerstagabend, sollten die Köpenicker gute Chancen auf den Einzug in die nächste Runde haben. Die Frage wird wohl eher sein, ob solche Leistungen wirklich im Drei-Tage-Rhythmus möglich sind.
Mit der Dreifachbelastung werde man gut umgehen können, meinte Trimmel zwar am Donnerstag. „Den Rhythmus haben wir schon kennengelernt bei den Play-offs. Das ist absolut möglich und wird auch möglich sein“, so der Kapitän. Doch in den Play-offs musste Union die Spiele gegen einen schwächeren Gegner über weite Strecken nur verwalten. In Prag war die Arbeit viel härter, gerade auch weil man mehr als die Hälfte der Zeit in Unterzahl spielen musste. Energie für das schwierige Bundesliga-Spiel in Dortmund am Sonntag konnte man nicht tanken. Man ist ans Limit gegangen – und kommt trotzdem mit leeren Händen nach Hause.
Am Donnerstag hat Fischer von „Lehrgeld“ gesprochen und womöglich muss seine Mannschaft tatsächlich noch lernen, wie man innerhalb von zwei Tagen den Kopf und den Körper von der einen großen Aufgabe auf die nächste umstellt. „Da gibt es nicht zwei oder drei Sätze, die man sagen kann, und dann ist alles gut. Da sind wir alle gefragt, die Spieler und der Staff“, sagte der Trainer.
Dass Fischer zumindest Rotationsmöglichkeiten hat, hat sich am Donnerstag gezeigt. Mit Sheraldo Becker konnte er sogar einen hochklassigen Spieler von der Bank bringen, der mit seiner Vorlage zum Ausgleichstor beinahe einen Punkt gerettet hat. Andernorts war aber auch zu sehen, dass der große Kader vielleicht immer noch etwas Zeit braucht, um sich zu finden.
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„Es geht um Automatismen, es geht darum, sich kennenzulernen“, sagte Fischer etwa zum Einsatz von Linksverteidiger Tymoteusz Puchacz, der in der Bundesliga bislang noch keine einzige Minute gespielt hat.
Wie weit man mit dem Rhythmus wirklich ist, wird man womöglich erst am Sonntag sehen können. Bisher verläuft die Saison recht gut für die Köpenicker, die in der Bundesliga nach vier Spielen immer noch ungeschlagen sind. Wenn diese Serie auch in Dortmund hält, wäre das gerade im Kontext der Strapazen von Prag der bisher größte Erfolg in dieser Spielzeit.
Viel Zeit gibt es aber nicht, um sich für die Aufgabe fit zu machen. Am Freitagvormittag saßen viele Union-Fans noch im Eurocity von Prag nach Berlin und verdauten mit Frühstücksbier die Niederlage vom Vorabend. Diesen Luxus hatten die Spieler nicht. Sie waren noch Donnerstagnacht direkt nach dem Spiel nach Hause gefahren.