Jan Lisiecki mit der Kammerakademie Potsdam: Der Kolibri und der Elefant

Antonella Manacorda betritt das Podium des Konzerthauses in einer Weise, die man wahlweise „beschwingt“ oder „hektisch“ nennen könnte. Wie sich schnell zeigt, ist sie vor allem letzteres. Der Chef der Kammerakademie Potsdam dirigiert mit einer Nervosität – ja, man muss sagen: Grobschlächtigkeit – in der Gestik, die Franz Schuberts 3. Symphonie D-Dur schlecht bekommt.

Diese frühen Symphonien, die erst Jahrzehnte nach Schuberts Tod überhaupt erstmals gedruckt wurden (durch Johannes Brahms, der aber auch keine gute Meinung von ihnen hatte), können Preziosen sein, wenn man sie ernst nimmt, ihnen Raum gibt und Zeit zum Atmen, ihnen keine Großartigkeit aufpfropfen will. Aber Manacorda lässt Differenzierung vermissen, gibt eigentlich nur ein Tempo vor: Presto. Rätselhaft, was den Italiener, den man als tollen Dirigenten kennengelernt hat, in dieser ersten Konzerthälfte geritten haben mag.

Da schillern tausend Farben

Würde Jan Lisiecki dem etwas entgegenhalten? Tatsächlich injiziert der kanadische Pianist in Beethovens erstem Klavierkonzert C-Dur eine gute Portion Beruhigung ins Geschehen. Die Nuanciertheit, mit der er dabei spielt, ist überwältigend: Da schillern tausend verschiedene Farben, Affekte, Tempi. Aus zarten Anfangsmomenten kann Lisiecki souverän einen Anschlag von unglaublicher Kraft entwickeln. Die Kadenz im ersten Satz klingt unter seinen Händen so lebensfroh, spitzbübisch und modern, dass man erst meint, sie stamme von ihm – tatsächlich ist auch sie von Beethoven!

Leider herrscht weiterhin Unwucht zwischen Pianist und Orchester. Auch wenn alle vorzugeben scheinen, sich gut zu verstehen: Anders als Lisiecki insistiert Manacorda auf seinem perkussiven, nach vorne drängenden Beethovenbild, so dass das Ganze eher einem Tanz von Elefant und Kolibri gleicht als einem Konzert. Es tut ein bisschen weh, das zu schreiben, zumal man die Kammerakademie gerade erst in Cimarosas „Il matrimonio segreto“ bei der Potsdamer Winteroper als zartfühlendes, agil und geschmeidig spielendes Ensemble erlebt hat.

Allseits bedrohte Idylle

Doch das Tolle an zweistündigen Konzerten ist ja: Es gibt immer wieder die Möglichkeit von Überraschungen. Was immer auch in der „Umkleidekabine“ besprochen worden sein mag – nach der Pause klingt das Orchester wie ausgewechselt. Wenn sich beim Einsatz der unheimlich grummelnden Bässe in Schuberts „Unvollendeter“, den zittrigen Sechzehnteln der Streicher und dann dem gemeinsamen Thema von Oboe und Klarinette nicht die Nackenhaare aufstellen, macht der Dirigent etwas falsch. Hier macht Manacaorda alles goldrichtig: Endlich gibt er der Musik Zeit, sich zu entwickeln, endlich sind die Kontraste da, die in der ersten Hälfte so gefehlt haben, dazu beglückende Bläsersoli – auch wenn der Eindruck bei den Hörnern uneinheitlich ist, mal goldschimmern-perfekt, mal daneben.

Keiner konnte die allseits bedrohte Idylle, das mühsam erkämpfte prekäre Glück besser in Töne setzen als Schubert. So erblühen denn die musikalischen Linien, die immer wieder abreißen, das Entsetzen, der Abstieg in die Hölle – und vor dem geistigen Auge ein Ich, dass sich immer wieder in Schrecken windet und flüchtet auf die wenigen Inseln von Lieblichkeit, die dieser in der Musikgeschichte so einzigartige erste Satz dann doch bereithält.

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