Klaus Maria Brandauer wird 80 Jahre alt: Der große Zauberer

Es ist eine etwas bombastische Floskel, aber wenn die Bezeichnung „Vollblutschauspieler“ ihren Sinn hat, dann trifft sie zu auf Klaus Maria Brandauer. Ein Rampeneber. Wobei das Theatralische in seinen Glanzrollen sofort umschlägt ins Hochdramatische.

Das hat die Welt wie im Glutkern gesehen, als er brennend, leuchtend im Oscar-gekrönten „Mephisto“ die Hauptrolle des Berliner Staatstheater-Protagonisten Hendrik Höfgen gab und seiner an politischer Moral überlegenen Frau, die ihn nach Hitlers Machtergreifung zur Emigration überreden will, immer wieder entgegenschreit: „Ich bin ein Schauspieler! Ein Schauspieler!!“ Einer, der dafür seine deutsche Muttersprache brauche, was Brandauer in jener unvergesslichen Szene bis an den Rand des gestisch rasenden Wahnsinns bettelnd und bebend beschwört.

Gegenspieler von Sean Connery in „Sag niemals nie“

Zum großen Zauber gehört freilich, dass der gebürtige Steiermärker, der am heutigen Donnerstag seinen 80. Geburtstag feiert, selbst im barschesten Schrei noch mit seinem österreichisch melodischen Timbre etwas Zarteres und Verletzliches mitschwingen lässt.

Ein Schauspieler, der behauptet, dass er nicht wirken und sein Publikum verführen will, dem glaub’ ich kein Wort.

Klaus Maria Brandauer

Auch als Sean Connerys alias James Bonds Gegenspieler Maximilan Largo im Thriller „Sag niemals nie“ zeigte er dabei eine so aasige Bonhomie, als würde er Gift nur als tödliche Süßspeise servieren. Wobei man einstreuen kann, die drei (männlichen) deutschsprachigen Kinoweltstars seit 1945 – Oscar Werner, Brandauer, Christoph Waltz – sie waren und sind alle gebürtige Österreicher. Mit der besonderen Begabung für Charme und Schmäh und die Tänze am Abgrund.

Während seiner fast sechzigjährigen Theaterkarriere, vor allem am Wiener Burgtheater, ist Brandauer vor allem in seinen Shakespeare-Heldenrollen von Kritikern gelegentlich die Virtuosenallüre und ein leicht opernhafter Stil vorgehalten worden. Zu recht. Aber wie anders er’s auch kann, hat man in der Zusammenarbeit mit den beiden für ihn bedeutendsten Regisseuren gesehen.

Dabei gehören Fernsehbilder von der „Emilia Galotti“ 1970 am Münchner Residenztheater zur Theatergeschichte, weil der geniale alte Fritz Kortner den kaum 27-jährigen Brandauer in der Rolle des zwielichtigen Lessing-Prinzen zu einem psychologisch delikaten, allen expressiven Überschwang dämpfenden Spiel als liebender Mörder führte. „Mein größter Lehrmeister“, sagt Brandauer über Kortner noch heute.

Sein zweiter Maestro nach Kortner: Peter Stein

Der zweite Maestro ist Peter Stein. Mit ihm hat er 2007 den über zehnstündigen, fast vollständigen „Wallenstein“ gestemmt. Ein Schiller-Marathon auf einer Breitwandbühne in der ehemaligen Neuköllner Kindl-Brauerei, den Brandauer später sogar buchstäblich durchsaß.

Weil er sich als Titelheld bei einer Vorstellung am Fuß verletzt hatte, absolvierte er das Kriegsdrama im Rollstuhl – und schaffte ein paralympisches Wunder. Klaus Maria Brandauer machte seine Behinderung völlig vergessen und verlieh der Studie des grandiosen Feldherrn kurz vor dem tödlichen Fall ungeahnte Nuancen. Fern aller Deklamation und ausgreifendem Schreiten hatte das Staatsschauspiel plötzlich Kammerspielraffinesse, und Schillerverse klangen bei Brandauer bisweilen wie intime Schnitzlersätze.

Wie gefesselt auf seinen Richterstuhl wirkte KMB ab 2008 auch in der viele Jahre am Berliner Ensemble und europaweit gezeigten Stein-Inszenierung des „Zerbrochnen Krugs“. Kleists Dorfrichter Adam, in dem auch der alte urmenschliche Adam steckt auf der Jagd nach dem Evchen (das größte MeToo-Drama des Welttheaters), war in der ansonsten sehr konventionellen Aufführung ein Ereignis.

Enormes Repertoire

Denn Brandauer zeigte bar jeder Eitelkeit und Scham einen schon von Anfang an körperlich derangierten, bis in die Entblößung verwüsteten Möchtergernwüstling. Ein Monster als menschliches, männliches Wrack. Er machte seine Figur (und sich selbst) so hässlich, dass sie im komischen Schrecken noch Mitleid erweckte, eine Art Quasimodo-Zauber. Und Kleist ließ Beckett ahnen.

Mit Peter Stein hat Brandauer in den 2010er Jahren tatsächlich noch Beckett gemacht, „Das letzte Band“ zuerst in der Schinkelkapelle von Schloss Neuhardenberg, dann in Berlin und auf Tourneen bis Moskau, sowie am Wiener Burgtheater den „Lear“, in dem schon bei Shakespeare die alten Beckettmänner stecken, die tragischen Komiker.

Wer das nicht gesehen hat, kennt den heutigen Jubilar aber allemal als Filmstar. Mit István Szabó hat er nicht nur „Mephisto“ gedreht, sondern 1985 auch den brillanten „Oberst Redl“. An der Seite von Sean Connery hat Brandauer nach dem Bond-Spektakel 1990 auch in der Verfilmung von John Le Carrés „Russlandhaus“ gespielt und neben Meryl Streep und Robert Redford in Sydney Pollacks „Jenseits von Afrika“. Hierfür erhielt er als einen seiner vielen internationalen Preise den Golden Globe und eine Oscar-Nominierung.

Brandauers Repertoire ist enorm. Zuletzt tournierte er als Solist mit einer Collage von Dichtungs-Fragmenten aller Zeiten und war in der TV-Verfilmung von Ferdinand von Schirachs „Feinde“ präsent. Auch hat er fast alle Mozart-Briefe gesprochen, Wagners „Lohengrin“ inszeniert und im Berliner Admiralspalast bei Brechts „Dreigroschenoper“ Regie geführt. Die Schau mit Campino als Mackie Messer und Katrin Sass als Madam Peachum war kein Kritikererfolg, zog aber 70 000 Zuschauer.

Als wir beide einmal in Schloss Neuhardenberg auftraten bei einem Dialog über die Liebe im Leben und in den Künsten, da hielt es, vermutlich beim Stichwort Eitelkeit, den großen Komödianten nicht auf dem Sessel, er sprang plötzlich auf, beugte sich über mich und wollte vor ausverkauftem Haus wissen, wer von uns schon mehr Haupthaare gelassen hatte. Natürlich er, auch seine Glatze musste ja Spitze sein! Möge er mit und ohne Kopfputz heute in seinem Haus im österreichischen Bad Aussee, wo er auch ein eigenes Kulturfestival insipiriert, die Gläser klingen lassen wie seine schöne Wortmusik.