Hanseatische Kaufleute und der Kolonialismus: Überfordertes Sendungsbewusstsein

Seit je schmiegen sich Unternehmen dem politisch-moralischen Zeitgeist an, um gute Geschäfte zu machen. Umgekehrt versuchen Firmen und Lobbyverbände aber auch, den Kurs der Politik zu bestimmen. In ungewöhnlichem Maß geschah das beim deutschen Kolonialismus. Dietmar Pieper zeigt in seinem Buch „Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche“, dass es vor allem norddeutsche Kaufleute waren, die ihren Handel mit exotischen Waren der Politik im Kaiserreich als großes Kolonialprojekt aufdrängten. Die hanseatischen Städte waren dank ihrer Lage an der Nordsee mit dem Zugang zum Atlantik für eine führende Rolle bei dieser Form der Globalisierung prädestiniert.   

Reichskanzler Bismarck hielt Kolonien für kostspielig und überflüssig. Unternehmer wie der Bremer Tabakhändler Adolf Lüderitz und der Hamburger Großkaufmann Adolph Woermann schufen dann Fakten in Afrika. Sie verbrämten die eigenen Geschäftsinteressen als wirtschaftliche Vorteile für Deutschland. Ohne die Genehmigung aus Berlin abzuwarten, hisste Lüderitz die Reichsflagge in Südwestafrika und kaufte den regionalen Chiefs und Oligarchen große Ländereien ab, wobei von Anfang an Betrug im Spiel war.

Um nicht von den konkurrierenden Engländern mit Zöllen traktiert oder von den Faktoreien vertrieben zu werden, wurde der offizielle Schutz des Reiches angefordert. Schließlich ging Bismarck darauf ein. Ab April 1884 galten die Niederlassungen zunächst als deutsche „Schutzgebiete“. Dabei erhoffte sich Bismarck eher innenpolitische Vorteile, indem er den imperialistischen Zeitgeist bediente, der die Deutschen voller Neid auf die westlichen Kolonialmächte blicken ließ. Mit der Entsendung von immer mehr Militär und Verwaltung wurden aus den „Schutzgebieten“ bald Kolonien.

Erziehung durch Arbeit

Es gibt die Auffassung, es sei ein positiver Nebeneffekt des Kolonialismus gewesen, dass er die in Afrika seit mehr als einem Jahrtausend tief verwurzelte Sklaverei abschaffte. Pieper hält dem entgegen, dass die Zwangsarbeit unter dem deutschen Kolonialregime oft noch härter und entwürdigender war. Missionare beklagten eine neue „Staats-Sklaverei“, die als kulturpädagogische Mission gegenüber unterentwickelten Völkern überhöht wurde: Erziehung durch Arbeit.

Die Kolonisten standen vor dem Problem, wie man über die riesigen Territorien mit ein paar tausend Männern die Kontrolle behalten sollte. Schnell mischte sich Sendungsbewusstsein mit Überforderung. Es bildete sich eine rassistische Herrenmenschenattitüde heraus, um mit den Unzulänglichkeiten fertig zu werden und die brutale Herrschaft zu legitimieren.

Das Lebensgefühl schwankte zwischen Allmacht und Ohnmacht. Von den Aufständen der Herero und Nama wurden die Kolonisten in Deutsch-Südwestafrika überrascht. Den Völkermord versteht Pieper als Wüten aus Konzeptlosigkeit, als martialisches Improvisieren „aus einer Position der Schwäche heraus“.

Hauptprodukt Zucker

Pieper, der beim „Spiegel“ lange für das Ressort Geschichte zuständig war, versteht sich auf spannende, bisweilen auch etwas effektheischende Aufbereitung seiner Themen. Der Titel des Buches steht für die drei Geschäftskomponenten Import, Export und Zwangsarbeit. Mit der Nilpferdpeitsche wurden die schwarzen Arbeiter diszipliniert.

Zucker war ein Hauptprodukt in der ersten Phase des Plantagen-Kolonialismus. Im Gegenzug wurde in riesigen Mengen die Droge Schnaps nach Afrika verkauft. Die norddeutsche Spirituosenherstellung boomte dank der Exportmöglichkeiten. Dann wurde Hamburg die Hauptstadt des Kaffees. Durch die Verarbeitung und Verfeinerung der kolonialen Rohstoffe entstand der Wohlstand der Stadt, deren beeindruckender Kolonial- und Speicher-Architektur Pieper ein eigenes Kapitel widmet. Am Ende der Lieferkette sollte alles blitzblank und repräsentabel aussehen.

Pieper beschäftigt sich auch mit einer vermeintlichen Lichtgestalt unter den deutschen Kolonialregenten. Wilhelm Solf, der Gouverneur der Südseekolonie Samoa, setzte im Umgang mit den Indigenen nicht auf militärische Gewalt, sondern auf kluge Verständigung. So liest man es im seinem Wikipedia-Eintrag.

Pieper kontrastiert diese Kolonial-Idylle mit dem Widerstand der Duala im zentralafrikanischen Kamerun gegen ihre vorgesehene Vertreibung. Der populäre Duala-Anführer Rudolf Manga Bell wurde 1914 Opfer eines perfiden Justizmords, bei dem Wilhelm Solf erhebliche Mitverantwortung trug – ein oft übersehener Zusammenhang.

Der Autor appelliert an bekannte deutsche Firmen, die am Kolonialismus verdient haben – von der Commerzbank über Aurubis bis zu Edeka –, sich ehrlicher mit ihrer Vergangenheit zu beschäftigen. Aber der Reiz des Buches liegt vor allem in der historischen Tiefenschärfe, mit der die Verflechtungen von Politik und Wirtschaft verfolgt werden. Es ist über die Hamburger Lokalgeschichte hinaus eine umfassende Darstellung des deutschen Kolonialismus und seiner Vorgeschichte seit dem 18. Jahrhundert.